Mit wenig Geld von Budapest nach Zürich – Radreise von Esra & Josi
Ein einzelnes Zelt steht in der ungarischen Landschaft, daneben liegen zwei Fahrräder, und darauf scheint die Morgensonne. Es ist gerade mal halb sieben, doch unser Zelt ist schon auf dem besten Weg, ein kleines Gewächshaus zu werden. Wie gewohnt fängt also auch dieser Tag der Radreise früh an, wir packen alles zusammen und sind lange vor acht Uhr schon auf der Straße; für Studenten ist das noch mitten in der Nacht!
Noch wissen wir es nicht, als wir auf den Ungarischen Landstraßen Richtung Nordwesten fahren, doch meine Freundin und Ich werden auf dieser Reise keinen Cent für Übernachtungen ausgeben. Was anfangs nur eine vage Idee war („Wär‘ schon cool, wenn wir immer einen Platz finden würden, wo wir kostenlos zelten können“), sollte sich dann auch so durchziehen. Mal überachteten wir auf Wiesen am Waldrand, am Donauufer oder zwischen Getreidefeldern, mal bei Freunden oder Servas-Gastgebern. Wem Servas kein Begriff ist: dazu gleich mehr.
Unsere Route, 1.500 km durch fünf Länder in Zentraleuropa, ist auf Josis Tage als Au-Pair-Mädchen zurückzuführen. Vor Jahren war sie gleich zweimal für längere Zeit als Au-pair-Mädchen tätig, das erste Mal bei einer Familie in Ungarn, das zweite Mal in der Schweiz. Da sie mit beiden Familien noch befreundet ist, verbanden wir kurzerhand einen Besuch in Ungarn mit einem Besuch in der Schweiz, indem wir die Strecke mit dem Rad zurücklegten. Die Reise wurde auch eine Übung in Sparsamkeit, ohne dass wir unter Mangel leiden mussten. Wir hatten ein selbstbestimmtes Budget von 15€ am Tag. Da wir immer kostenlos übernachteten und auch keine Ausgaben für Transport hatten (Radfahren kostet nichts, wenn man Verschleiß mal außen vorlässt), waren diese 15€ auch oft genug für einen täglichen Restaurantbesuch.
Erste Etappe Ungarn – gemütliche Ländlichkeit in drückender Hitze.
Die Reise war Josis erste Tour mit dem Rad, und sie begann mit einem Tag, der auch erfahrene Radreisende an ihre Grenzen bringen konnte. Über 100 Kilometer lagen zwischen dem verwinkelten Budapest und der Farm von Josis Freunden, und bei knapp 40° Celsius und einer gnadenlos brennenden Sonne war die Strecke eine ausgesprochen schweißtreibende Angelegenheit. Dabei bot die ungarische Landschaft an sich genau das, was man sich als Radfahrer wünscht: Breite, wenig befahrene Straßen, ein paar Hügel, damit es nicht langweilig wird, und ansonsten Wälder, Wiesen und Dörfer, die einem beim Durchfahren einen Einblick in die ungarische Lebensweise auf dem Land bieten.
Die Woche auf dem Bauernhof von Josis ehemaliger Gastfamilie war wie eine Reise in die Zeit, aus der die Kindheitsgeschichten meiner Oma kommen. Nutztiere mussten versorgt werden, frisches Wasser konnte man aus dem Brunnen hochkurbeln, und für die typisch ungarische Gulaschsuppe wurde der gusseiserne Topf über ein offenes Feuer gehängt. Mal ein richtiger „Urlaub auf dem Land“. Irgendwann hatten wir dann aber auch wieder den Drang, die Landstraßen Ungarns unter den Reifen zu haben. Nächstes Ziel: Bratislava in der Slowakei.
Bratislava, Wien, und der Donauradweg – unterwegs auf einem überfüllten Radweg.
In Bratislava und Wien kamen wir bei Servas-Gastgebern unter. Servas ist eine Friedensorganisation, die eine verbesserte Völkerverständigung anstrebt. Dieses Ziel wird umgesetzt, indem man Reisende zusammenbringt mit Leuten, die gerne Reisende aufnehmen. Josi und ich sind beide Mitglieder bei Servas und haben somit Zugriff auf die Gastgeberlisten, in denen lauter spannende Menschen auftauchen. Wir finden es beide viel angenehmer, bei „normalen Leuten“ unterzukommen, statt irgendeine günstige Jugendherberge aufzusuchen. Dadurch erfährt man meist mehr über die Stadt, in der man sich gerade befindet. Wenn man Glück hat, führen einen die Gastgeber auch ein bisschen herum; so war es in Wien, wo wir bei einem Paar unterkamen, die auch sehr gerne Rad fahren, und uns auf diese Weise die Stadt gezeigt haben.
Im Prinzip ist Servas wie Couchsurfing, nur klappt es meiner Erfahrung nach schneller, einen Gastgeber zu finden, da die Telefonnummern oft dabeistehen. Und natürlich kosten die Übernachtungen nichts.
Der Donauradweg führte uns aus Wien heraus und weiter nach Westen, doch wirklich warm wurden wir mit diesem hochfrequentierten Asphaltstreifen nicht. Zum einen konnten wir kaum nebeneinander fahren und uns unterhalten, der Verkehr an anderen Radfahrern war einfach zu groß. Hier trifft man alle Radfahrer, die sich nicht auf eine ruhige Landstraße trauen oder eine entschiedene Abneigung gegen jegliche Steigungen hegen. Zum anderen bietet die Lage des Radweges direkt neben einem breiten Fluss wie der Donau perfekte Konditionen für einen fiesen Wind. Und der schien einfach immer in die falsche Richtung zu wehen.
Einen kleinen Abstecher mussten wir uns dann doch gönnen. Ich hatte eine nette Familie in der Servas Gastgeberliste gefunden, die 20 Kilometer abseits der Donau im „Mühlviertel“ lebten. Was ich nicht wusste: Das Mühlviertel ist eine sehr hügelige Landschaft in Österreich, und unsere 20 Kilometer gingen dort mit 700 Höhenmetern einher. Nach einem bereits recht anstrengenden Tag war Josi kaum begeistert von dieser Erkenntnis, und ich vertröstete sie jedes Mal: „Schau, nach der Kurve / nach der Hügelkuppe geht’s bestimmt wieder flach weiter!“ Natürlich hatte ich keine Ahnung, und mein Optimismus war immer fehl am Platz. Im Mühlviertel gibt es keine ebenen Straßen. Jetzt wird es schwierig, Josi eine Alpenradtour aufzuschwätzen…
Urlaub im eigenen Land
Auf dem Weg von Budapest nach Zürich muss man durch Deutschland durch, wenn man nicht gerade Alpenpässe sammeln möchte. Das Lustige daran ist, dass das Heimatland dann plötzlich einfach zu einem weiteren Teil der Reise wird. Ein Land, welches man beim Durchfahren mit den Augen des Touristen betrachtet, welches man mit einer gewissen Offenheit betritt, Neues zu finden. Natürlich hat es dabei geholfen, dass wir durch Bayern gefahren sind, von vielen bekanntermaßen gerne als fremdes Land bezeichnet. Besonderen Spaß hatten wir hier in den vielen Brauereien (genauer gesagt: Ich hatte dort meinen Spaß. Josi trinkt kein Bier). Und was die Straßen und Radwege angeht: Deutschland halt, kennt man. Alles relativ sauber und ordentlich, von Ungarn kommend auf jeden Fall beeindruckend. Das Wildcampen war auch hier kein Thema. Entweder fragten wir einen Bauern nach Erlaubnis, was sehr gut funktionierte, oder wir suchten uns einfach ein abgelegenes Plätzchen und hinterließen es genauso, wie wir es vorgefunden hatten.
Die Schweiz – Peinlich sauber, sündhaft teuer, wunderschön.
Beim sparsamen Reisen gibt es eine Reihe von Regeln, die es dringend zu beachten gilt: schlaf im Zelt, geh nicht oft in teure Restaurants, nutz ein kostengünstiges Transportmittel… und fahr nicht in die Schweiz! Diese letzte Regel konnten wir nur brechen, weil wir dort Freunde von Josi besucht haben. Wenn man nämlich nicht bei Freunden unterkommt, eignet sich dieses Land sehr gut dazu, zwei Monatssätze BAföG in einer Woche zu verheizen. Portion Pommes: 10,00€. Die billigsten Cornflakes im Supermarkt: 6,00€. Döner: 11,50€. Die Preise sind nichts für ein Studentenportemonnaie.
Und doch, man muss es sagen: Es lohnt sich. Die Schweiz ist wunderschön. Dörfer wie aus dem Bilderbuch, perfekt gelegen in malerischer Berglandschaft. Landstraßen zum Dahinschmelzen, mit Asphalt, der gefühlt nie älter als ein halbes Jahr ist, die sich durch Wälder und vorbei an Kuhweiden schlängeln. Und alles ist so blitzeblank sauber! Schon wenn man aus Deutschland kommt, fällt der Kontrast auf. Wir kamen aber aus Ungarn, wo Müll am Straßenrand ein eher gängiger Anblick ist, und daher stach uns die nahezu vollkommene Abwesenheit jeglicher Verunreinigungen noch mehr ins Auge. Wenn ich Leuten von dieser Besessenheit der Schweizer mit Sauberkeit ein Bild machen möchte, erzähle Ich gerne vom Altglascontainer-Putzlastwagen. Josi und ich liefen in der Kleinstadt ihrer Gastfamilie die Straße hinunter und wurden nicht nur Zeugen davon, wie der Altglascontainer geleert wurde, sondern auch von seiner spektakulären (für nicht-Schweizer jedenfalls…) Reinigung. Ein zweiter Lastwagen stand nämlich bereit, hievte den Container per Kran-Arm hoch, und zwei große Rollen, wie man sie aus der Auto-Waschanlage kennt, führten den Container optisch zurück zu dem Zustand, in dem er einst das Fließband verließ. Ein Arbeiter spritze das saubere Ding nochmal zur Sicherheit mit einem Hochdruckreiniger ab, dann konnte es wieder mit Altglas gefüttert werden.
Diese Aufmerksamkeit zum Detail ist nicht nur Altglasontainern vorbehalten, der Gesamteindruck ist entsprechend beeindruckend. Wir genossen die Zeit in der Schweiz sehr, wozu den Großteil natürlich Josis Gastfamilie beitrug. Wir fühlten uns aber auch mehrmals etwas fehl am Platz, zum Beispiel, als wir durch Zürichs „Reichenviertel“ radelten. Es war eine Welt für Menschen, deren Häuser mit Ausblick schon weit im Achtstelligen Bereich rangierten, und nicht für zwei zeltende Radfahrer, die nicht ganz so oft duschen, wie sie das zuhause tun würden.
Trotz dem Schweiz-Besuch: Pro Kopf Ausgaben von 450€ für einem Monat Reise!
Vorweg: diese doch sehr bescheidene Summe haben wir nur erreichen können, weil wir zwei Wochen bei Freunden verbrachten. Doch das ist eben auch einfach ein weiterer Weg, sparsam zu Reisen. Transport und Übernachtungen sind die größten Geldgräber, und wenn man daran sparen kann, wird die Reise sehr schnell sehr günstig. Um es nochmal zusammenzufassen: Mit Zelt und gelegentlichen Servas-Besuchen lernt man nicht nur Land und Leute besser kennen, man spart auch gut; vor allem, wenn man sich traut, wild zu campen. Das Rad ist billig in der Wartung und trinkt kein Benzin. Und eine gute Wahl des Reiselandes bestimmt, ob das Bier 1,00€ kostet (Budapest), oder 9,00€ (Zürich). „Ich hab kein Geld“ ist ein Klagegesang, der in meinen studentischen Kreisen oft angestimmt wird, doch das soll doch niemanden aufhalten müssen, in der vorlesungsfreien Zeit eine tolle Reise zu erleben!