Schottland mit Kindern – Interview mit Lena Marie Hahn
Lena Marie Hahn ist Journalistin und Buch-Autorin mehrerer Reise-Ratgeber und Wanderführer. Gar nicht so nebenbei betreibt sie den Familienreise-Blog family4travel.de, in dem sie ausführlich, authentisch und informativ über ihre unglaublich vielfältigen Ziele in Deutschland und in 33 europäischen Ländern berichtet.
Ihr Motto „Gemeinsam die Welt entdecken und von ihr lernen“ weist schon deutlich darauf hin, dass es ihr während der Reisen auf direkten Kontakt und die Nähe von Menschen ankommt. Couchsurfing ist nicht von ungefähr eine von ihrer Familie bevorzugte Unterkunftsart.
Buch: „Schottland mit Kindern“
Mit ihrer Co-Autorin Stefanie Hiltkamp hat sie gerade ihr neuestes Werk, den Wanderführer „Schottland mit Kindern – 66 Wander- und Entdeckertouren in den Highlands und auf den Inseln,“ im Naturzeit Reiseverlag herausgebracht.
Alle darin beschriebenen Wanderungen haben die beiden Autorinnen mit ihren Kindern auf mehreren Reisen gnadenlos durchgezogen und gut recherchiert in Buchform gepackt.
Da Schottland auch in unserer Beliebtheitsskala ganz weit oben steht, quetschen wir Lena Marie doch mal über ihre Schottlanderlebnisse etwas aus.
Hier nun unser Interview mit Lena Marie Hahn:
Frage: Wann warst du zum ersten Mal in Schottland unterwegs? Wann hast du dich in das Land verliebt?
Als Kind habe ich Großbritannien schon immer mal als Urlaubsziel vorgeschlagen, bin mit dem Wunsch aber bei meinen Eltern nicht auf Gegenliebe gestoßen (da ging es abwechselnd nach Österreich und Dänemark). So ging dann meine allererste Reise auf eigene Faust auf die Insel. 2002, direkt nach dem Abi, zusammen mit Martin, meinem späteren Mann. In zwei Wochen haben wir uns erstaunlich viel von England, Schottland und Wales angeschaut. Schottland hat uns damals schon am besten gefallen: die Weite, die Wildnis, die Heide und der Torf unter unseren Füßen.
Frage: Warum magst du Inseln? Oder magst du Inseln lieber als das Festland? (Sehen wir einmal davon ab, dass GB eine Insel ist)
Wenn wir früher gereist sind, haben wir Inseln meistens ausgelassen – aus dem einfachen Grund, dass ein Fährticket Geld kostet und es auf dem Festland immer ausreichend Unbekanntes für uns zu erkunden gab. Inzwischen bin ich aber sehr auf den Geschmack gekommen und mag Inseln tatsächlich besonders gern. Jede für sich ist ein abgeschlossener kleiner Kosmos, jede hat ein ganz eigenes Gesicht. Gerade bei den Inneren Hebriden habe ich diesen Eindruck.
Frage: Kannst du kurz die von Dir im Buch beschriebenen Inseln Arran, Jura und Mull vorstellen? Gibt’s da eine Lieblingsinsel?
Da hast du in deiner Aufzählung ausgerechnet meine drei schottischen Lieblingsinseln erwischt! Im Reiseführer portraitieren meine Co-Autorin Stefanie Holtkamp und ich ja außerdem auch noch Islay, Skye und Lewis & Harris sowie die ganz kleinen Inselchen Iona und Kerrera.
Arran liegt am weitesten südlich und östlich der Halbinsel Kintyre, wodurch sie formal nicht zu den Hebriden zählt. Sie mag ich besonders, weil sie auf 32 Kilometern Länge und 16 Kilometern Breite sozusagen ganz Schottland im Hosentaschenformat abbildet. Der Norden ist bergig, zerklüftet, wild und ungezähmt, im Osten liegen Brodick und ein paar andere hübsche Küstendörfer mit weißgetünchten Cottages und gemütlichen Tea Rooms. Im Süden ist die Landschaft lieblicher, und im Westen gibt es Steilklippen und ein Moor voller Steinkreise, Hügelgräber und Menhire.
Jura mag ich auch total gerne. Auf der zweitsüdlichsten der Inneren Hebriden gibt es gerade einmal 200 Einwohner, die fast alle im einzigen Ort der Insel leben. Drum herum ist echte Wildnis, die großteils wirklich nur mit Profi-Ausrüstung zugänglich ist. Wir mussten uns echte Mühe geben, familientaugliche Wanderungen zu finden, aber wir sind dann in ein paar wirklich wunderschönen Ecken gelandet.
Die Isle of Mull ist nach Skye die zweitgrößte Insel der Inneren Hebriden und schon eher auf Tourismus ausgelegt, wenn auch deutlich ruhiger und weniger überlaufen als Skye. Hier haben wir die schönsten Cafés und Tea Rooms gefunden – für mich ganz persönlich immer ein großes Plus für eine Region… Aber auch die Landschaft ist zum Niederknien, wobei Mull groß genug ist, um mehrmals ihr Gesicht zu ändern. Das Ross of Mull im Süden hat herrliche Sandstrände, während das raue Inselinnere wenig erschlossen ist. Im Nordwesten liegt die Steilküste samt mehrerer verlassener Ruinendörfer, die ein paar wunderbare Wandermöglichkeiten bietet. Im Nordosten liegt Tobermory, die geschäftige kleine Hafenstadt mit den bunten Häusern. Auch von dort aus ist man in jeder Richtung schnell mitten im Grünen.
Welche von den Dreien ich jetzt am liebsten mag, kann ich gar nicht sagen. Nach Jura würde ich zum kompletten Abschalten fahren, nach Mull für einen längeren, erlebnisreichen Urlaub, und nach Arran vielleicht am ehesten, weil es noch ein bisschen schneller erreichbar ist und eben praktisch ganz Schottland in einem Radius bietet, der sich innerhalb einer Woche gut abgrasen lässt.
Frage: Magst du den Westen Schottlands lieber als den Osten? Und warum?
Es ist mehr oder weniger Zufall, dass wir bisher immer im Westen Schottlands gelandet sind. Bei unserer ersten Reise 2002 sind wir völlig planlos nach Norden gefahren, und im Highland-Hostel in Pitlochry sagte uns damals der Mensch an der Rezeption: „Im Westen ist gerade richtig gutes Wetter. Das müsst ihr ausnutzen, fahrt unbedingt jetzt nach Westen!“ Mittlerweile kennen wir schon auch Edinburgh, Dundee und Inverness. Aber wir landen doch immer wieder im Westen, in letzter Zeit am liebsten halt auch auf den Inseln. Vielleicht liegt es daran, dass Irland meine zweite große Länder-Liebe ist, wo mir der Norden am besten gefällt. Ich habe schon am Mull of Kintyre gestanden und sehnsüchtig nach Irland geblickt, und genauso andersrum am Giant’s Causeway seufzend Richtung Schottland geschielt. Es ist wahrscheinlich einfach diese ganze Region zwischen Wasser, Strand, Heide und Schafen, die ich so mag.
Frage: Was liebst Du und deine Familie am Wandern?
Ich mag es, einfach mal rauszukommen und alles hinter mir zu lassen. Wenn das letzte Cottage aus meinem Blickfeld verschwunden ist und nur noch Grünzeug, Steine und Wasser um mich sind, habe ich immer das Gefühl, dass meine Seele mal richtig durchgeputzt wird.
Zum Glück sind auch Martin und die Kinder echte Wander-Fans. Die Jungs dackeln meist zusammen ein ganzes Stück vor oder hinter uns Erwachsenen her und vertiefen sich in ihre Fantasiegeschichten. Einer ist der Erzähler, der andere spielt die Hauptperson und trifft die Entscheidungen. Auf diese Weise laufen die beiden glücklich stundenlang, ohne sich über die Kilometer zu beschweren. Ab und zu fangen wir sie dann ein, machen sie auf historische, biologische oder geologische Besonderheiten am Wegesrand aufmerksam. Solange das ihre Geschichten nicht zu lange unterdrückt, nehmen sie das hin. Aber wenn wir später über bestimmte Wanderungen reden, dann sage ich Dinge wie: „Das war da, wo wir durch das Vogelschutzgebiet mit dem tollen Strand gelaufen sind“, und die Jungs präzisieren sich gegenseitig: „Ach ja, als wir diesen oder jenen Planeten erforscht und auf jene oder welche Außerirdischen gestoßen sind.“
Frage: In Schottland regnet es ja bekanntlich öfters einmal. Hast du Tipps für die passende Kleidung?
Klassiker Zwiebel-Look. Egal wie das Wetter beim Losgehen aussieht, sollte man immer noch was an- und was ausziehen können. Der Rucksack sollte deshalb nicht zu klein sein, damit die dicke Jacke unterwegs noch Platz findet, wenn doch eine Zeitlang die Sonne rauskommt.
Und Schottland ist das Land, das mir beigebracht hat, dass professionelle Wanderhosen doch ihr Geld wert sind. Auf unserer ersten Recherchereise war ich noch in Jeans unterwegs. Das rächt sich schnell, weil man von oben oder selbst ohne Regen im Moor von unten immer nass wird. Das Wasser zieht die Hosenbeine hoch und bleibt stundenlang nass. Die Investition in eine schnell trocknende Microfaserhose lohnt sich tatsächlich. Und gute, wasserfeste Wanderschuhe, die über den Knöchel gehen, sind auch absolut sinnvoll – auch für die Kinder, denn mit nassen Füßen fröhlich wandern ist ein bisschen viel verlangt.
Frage: Was packt ihr in den Wanderrucksack?
Genügend Wasser und ein Picknick sind obligatorisch. Und in Schottland haben wir auch immer ein Mückenmittel dabei. Oft hatten wir bei unseren Wanderungen Glück und die Biester waren gar nicht so schlimm unterwegs. Deshalb holen wir die chemische Keule wirklich immer erst bei Bedarf aus dem Rucksack.
Als die Kinder kleiner waren, hatten wir immer auch eine Packung „Notfallkekse“ dabei. Wurde der Weg allzu lang und die Motivationsdecke dünn, gab es bei abgemachten Wegeszeichen einen Zuckerschub, beispielsweise bei jedem nächsten Wegweiser, Zauntor oder jeder Abzweigung.
Frage: Was war auf den Wanderungen Euer Lieblingserlebnis?
Das ist wirklich schwer zu beantworten. Unverhofft auf etwas Schönes zu stoßen, ist immer gut. Für die Jungs sind das meistens tierische Begegnungen, zum Beispiel ein Esel auf der Weide oder eine Katze, die sich streicheln lässt. Ich freue mich, wenn wir über ein schönes Café stolpern. Manchmal begegnen wir auch Menschen, die sich die Zeit für ein Schwätzchen nehmen und uns Interessantes über die Gegend erzählen. Da ich vor allem für die Reiseführer-Wanderungen immer schon im Vorfeld sehr akribisch vorplanen muss, sind große Überraschungen aber relativ selten.
Frage: Wie oft wart ihr in Schottland, um alle vorgestellten Wanderungen zu unternehmen? Hat Euch das Wetter manchmal einen Strich durch die Planung gemacht?
Die Reiseführer-Recherche haben wir auf zwei Durchgänge aufgeteilt. Im Juli und August 2017 waren die Jungs und ich auf dem Festland zwischen Loch Lomond, Oban und Kintyre unterwegs. Da wir die Sommerferien 2018 dann schon für die Irland-Recherche brauchten, mussten wir die zweite Rutsche Schottland mit den Inseln in zwei Wochen Pfingstferien erledigen. Das war schon sportlich. Dafür sind wir ja aber zwei Autorinnen: Stefanie Holtkamp und ich haben uns das Gebiet untereinander aufgeteilt, sie hat den kompletten Norden gemacht.
Früher hatte ich sehr romantische Vorstellungen von Reiseführer-Autoren, die ihr Gebiet in- und auswendig kennen und jahrelang jeden Stein dort inspizieren, bevor sie ihre Expertise zu Papier bringen. Die Realität sieht so aus, dass die Daten nicht zu veraltet sein dürfen. Außerdem wird man vom Reiseführerschreiben nicht reich, und es dauert, bis man überhaupt die Reisekosten wieder drin hat. Also muss jede Wanderung sitzen. Geplant wird zu Hause am Schreibtisch. Vor Ort muss dann durchgezogen werden: jeden Tag mindestens eine Wanderung, eher zwei. Egal, wie das Wetter ist. Auf den Fotos sieht man meist gar nicht, ob es wirklich regnet oder nur bewölkt ist. Also lautet die Ansage an meine armen „Models“: Kapuze runter, es regnet nicht! Zumindest bis die Fotos im Kasten sind… Da verlange ich den Jungs schon viel ab. In den zwei Wochen über Pfingsten waren es gut über 100 Kilometer, die sie laufen mussten, bis zu 17 am Tag. Auf Jura haben wir alle drei Touren an einem Tag hintereinander gerissen. Aber sie waren begeistert!
Zum Glück hatten wir vor allem auf unserer zweiten Recherchereise wirklich außergewöhnlich gutes Wetter. In Irland sah das schon anders aus. Da mussten wir sowieso schon etliche vorbereitete Wanderungen streichen, weil sie sich unterwegs als doch nicht so schön oder familientauglich herausstellten, und an zwei Tagen in Mayo konnten wir wirklich nicht vor die Tür vor Dauerregen. Das ist dann ärgerlich. Aber ein bisschen Schwund ist ja auch von vornherein mit eingeplant. Unter anderem deshalb gibt es aber im Schottland-Führer 66 Wander- und Entdeckertouren, für Irland „nur“ 60.
Frage: Wir profitierten bei unseren Reisen mit den Kindern immer enorm von deren Fragen und Enthusiasmus. Geht es Euch da ähnlich?
Absolut. Vor allem beim Wandern tauchen unsere Jungs gerne wie oben beschrieben in ihre eigene Welt ab und müssen dann ab und zu „geweckt“ werden, um ihre unmittelbare Umgebung überhaupt wahrzunehmen. Aber wenn ihre Aufmerksamkeit dann einmal auf der Landschaft liegt, kommen durch ihre Fragen und Wahrnehmungen die schönsten Gespräche zustande. Das gemeinsame Lernen am akuten Beispiel ist für mich eine der schönsten Seiten am Reisen mit Kindern.
Ich bin vor allem wahnsinnig dankbar, dass wir alle vier die Leidenschaft fürs Reisen, Wandern und für Schottland teilen. Anders wäre es gar nicht möglich, diese Reiseführer umzusetzen. Selbst jetzt, wo bis zur Neuauflage in drei bis fünf Jahren alles im Kasten ist, fragen die beiden an, ob wir nicht zwischendurch mal wieder nach Schottland fahren könnten, weil da das Wandern einfach schöner sei als hier. Der Große spielt mit dem Gedanken, nach dem Abi ein Freiwilliges Ökologisches Jahr dort einzulegen. So eine Familien-Leidenschaft erfolgreich in die nächste Generation gepflanzt zu haben, ist irgendwie schon witzig.
Vielen Dank Lena Marie für das aufschlussreiche Interview und die ausführlichen Antworten!