Esra erklärt die Welt – 2 Warum die Franzosen alles glibberige und schleimige, was sie im Meer finden, verspeisen.
Satire
Wie vielleicht bereits bekannt, herrschte vor hunderten von Jahren, noch vor der französichen Revolution, ein kleiner, elitärer und extravaganter Haufen von Oberschicht über das damalige Frankreich, und dieser Haufen nannte sich Adel. Es war dem durschnittlichem Adeligen höchst zuwieder, etwas mit seinen schmutzigen, ihm untergebenen Untertanen gemeinsam zu haben, oh nein, der Adelige wollte besser, größer und toller sein als das erbärmliche Rinnsteingesindel, das unter diversen Kanaldeckeln hauste. Wo der „normale“ Mensch eine Hose und ein Hemd am Leibe trug, da führte der Herzog ein riesiges Samelsurium aus Röcken, Pluderhosen, Halskrausen, Perrücken und Rüschen mit sich spatzieren, die er alle gleichzeit trug und somit wie ein wandelnder Kleiderladen zu wirken versuchte. Und weil der gewöhnliche Mensch sich seinen Lebensunterhalt mit etwas namens „Arbeit“ verdiente, war diese Option für den multibetitelten „Grafen von sonstwo, Herrscher über die soundso, Unterdrücker der wasweisich, Herzog von irgendwo, Vize-sonstwas im Dienste seiner allerheligsten Majestät von blaa, blaa, blaaa…“ nicht auszudenken. Arbeit? Ich? Ein Adliger? Niemals!!
Nein, der gemeine Adelige von hoher Geburt verdiente sich seinen Lebensunterhalt lieber mit so angstrengungslosen Tätigkeiten wie dem Erben. Von Zeit zu Zeit tat er auch aktiv etwas, zum Beispiel wenn er seinen Steuerneintreiber eigenhändig zum Steuerneintreibnen losschickte. Danit machte er sich nicht gerade beliebt bei seinen Untertanen, aber das kümmerte ihn wenig.
Doch nun zurück zu unserem vorherigem Thema, dem Drang der Blaublütigen, sich von der übrigen Gesellschaft zu differenzieren. Größtenteils war die gesellschaftliche Hervorhebung schon längst bewerkstelligt; man hauste in riesigen Villen und Schlößern, man verbrachte seine Freizeit mit den ausgefallensten Hobbys und Spielen und machte sonst auch alles Erdenkliche anderst, um nicht wie das erbärmliche Bauerngesindel zu leben. Nur an eines hatte man noch nicht gedacht, in einem Punkt lebten die Edelleute wie die Bettler, und dieser eine Punkt war das Essen. Zu Hofe bekam man noch genau die selben Pellkartoffeln mit Kohlsuppe vorgesetzt, die auch das arme Schneiderlein zu kochen pflegte. Zwar waren die Teller der Herzoge aus Gold und Edelsteinen, doch was darauf kam war gewöhnlicher Bauernfraß. Zuerst war es den hochgeborenen Herrschaften nicht bewusst, das ihr Lebensstil sich in dieser Hinsicht nich das kleinste bisschen von dem der Unterschicht abhob, man hielt es für normal, als Graf leckere und dampfende Gemüsetöpfe mit dem gelegentlichen Stückchen Fleisch vorgesetzt zu bekommen. Doch es war unausweichlich, irgendwann musste es jemandem auffallen. Plötzlich war der gräßliche Missstand jedem bekannt, und alle edlen Herrschaften grübelten angestrengt darüber nach, wie man dieser Sache beizukommen sei. Wie konnte dieser katastrophale Zustand so lange unentdeckt bleiben? Schließlich konnte man sich als Träger eines adeligen Titels nicht wie ein normaler Bürger aufführen, das verstieß gegen alles, an das französiche Adelige glaubten. Schnell war ein Beschluss gefasst, man ließ sogleich ausgefallene Speisen herbeischaffen. Hirsche waren bis zu diesem Zeitpunkt noch größtenteils verschont geblieben, nun wurden sie gejagt und bei Hofe aufgetischt. Dort war man mit sich zufreiden, und das Problem war gelöst, denn Hirsch war jetzt offiziell das Essen der Hochgeborenen. Lange sollte das aber nicht so bleiben, so leicht gab sich das Volk nicht geschlagen. Jenes französiche Volk nämlich war von den Reichen und Mächtigen von jeher übel mitgespielt worden, und man war sich allgemein einig, den Unterdrückern möglichst bald einen auszuwischen. Da es allgemein bekannt war, dass Adelige sich gern vom Volk direfferenzierten, war es eines jeden Bauern Wunsch, sich allein zu deren Ärgernis wie die Herrscher zu verhalten, doch war dies bisher nicht möglich gewesen; Bisher hatten sich die Adeligen ja immer an einen sehr geldintensiven Lebensstil gehalten, den man beim besten Willen nicht kopieren konnte. Doch sollte sich einmal die Gelegenheit bieten, so musste sie am Schopf gepackt werden. Das wollte man schon immer mal machen, und nun war die Zeit gekommen
Auf frankreichs Schlößern gab es wieder Unruhen. Man hatte einfache Bauern mit erlegten Hirschen aus dem Wald gehen sehen, und diese waren daraufhin breit grinsend mit ihrer Beute in ihren ärbärmlicher Behausungen verschwunden. Konnte es sein, dass nun auch der gemeine Franzose sich an Großwild ergötzte? Ja, konnte es sein, dass der Bauer jetzt wieder die selben Speisen fraß wie man es bei Hofe tat? Und würde das nicht bedeuten, dass der Adel vice versa genau dasselbe aß wie das Volk? Ein neues Problem war entstanden, denn da das Volk nun auch Hirsche aß, waren sie nicht mehr exklusive Adelsspeise. Auch die Tatsache, dass man das Hirsche-jagen unter Todesstafe stellte, vermochte daran wenig zu ändern.
Der zuvor gebildete Ausschuss für extravagante Speisen bei Hofe wurde also wieder einberufen, und bald wurde hinter verschlossener Türe diskutiert und argumentiert. Nach zwei Tagen war ein Entschluss gefasst, und man eilte zum Hofküche. Diese bekam den Auftrag, sich ein besonderst ausgefallenes Rezept auszudenken, und es sollte nach Möglichkeit auch ausgefallene und seltene Zutaten enthalten. Kaum war das letzte Wort dieser Anweisung verklungen, da verrammelte man die Küchenpforte und diskutierte und argumentierte auch dort angestrengt. Wieder waren zwei Tage vergangen, da rannten ein halbes dutzend Küchenjungen eiligst und Hals über Kopf Richtung Sumpf, wo sie so viele Frösche fangen sollten, wie sie nur tragen konnten. Die Leute auf dem Lande verfolgten die Anstrengungen der kleinen Hofarbeiter mit einer Mischung aus Argwohn und Belustigung, und die gelegentliche Anwendung eines knochigen Knüppels entlockten den Küchenjungen alles, was die Bauern wissen wollten: Die Adligen planten, Froschschenkel als neue erhabene Speise zu erklären! Doch kaum war die erste Portion davon auf der königlichen Tafel angerichtet, da bekam man selbige Speise auch im schäbigsten Gasthof vorgesetzt, sehr zum Vergnügen der Armen, und sehr zum Ärgernis der Reichen.
So ging das nun eine ganze Weile weiter, sobald die Reichen etwas zu einer adeligen Speise erklärten, da kopierte man diese Sitte im ganzen Land. Das ewige Hin und her zwischen Adel und Volk brachte die ausgefallensten Speisen zu Tage, Weinbergschnecken waren noch das normalste, was dieser Wahnsinn auf Westeuropas Teller zauberte, auch verschimmelter Käse wurde als edel klassifiziert. Schließlich kam der Tag, an dem man auf den ganzen Ländereien Frankreichs keinen einzigen Gegenstand mehr finden konnte, der noch nicht mindestens einmal auf einem Teller gelegen hatte. Den Hofköchen gingen einfach die Ideen aus, was den nie enden wollenden Hunger ihrer Herren betraf. Nach dem Holzragout-Vorfall anno 1760 war man in einen Zustand ewiger Suche verfallen, doch alles als Speise in Frage kommende musste zur allgemeinen Enttäuschung wieder ins Gebüsch geworfen werden, weil man es schon mehr als einmal damit probiert hatte.
Dies war ohne Frage der schlechteste Zeitpunkt für ein bis dato unbekanntes Lebewesen, sich in Reichweite eines Franzosen blicken zu lassen, und genau diesen Fehler machte damals die Meeresschnecke Bert, als sie sich versehentlich zu weit den Strand hoch verirrte. Kaum gab eine verebbte Welle den Blick auf den armen Bert frei, da waren auch schon vier Mann zur Stelle, um sich darum zu prügeln, denn soetwas wie diese Schnecke hatte man noch nie gesehen. Einer der vier, ein Koch, hatte zufälligerweise eine schwere Bratpfanne dabei, die er kurzerhand jedem seiner Gegner über die Rübe zog. Er eilte mit der Schnecke zu seinem Herren, der darin eine große Chance sah; wenn er alle Schnecken dieser Art in seinen Besitz bringen würde, dann könnte kein normaler Bürger je eine auf seinen Teller schaffen können, weil er nie eine in die Finger bekommen würde. Also entsandte er sofort eine Kompanie königlicher Soldaten, um alle Schnecken dieser Art zu sammeln und sie zu ihm zu bringen. Die Soldaten eilten los, diesen Befeht auszuführen, doch als sie an der Küste ankamen, da standen schon Hunderte Leute knietief im Wasser und steckten alles ein, was nich Beine hatte und fliehen konnte. Anscheinend hatten die drei, die der Koch vermöbelt hatte, die Nachricht von dem fremden Lebewesen verbreitet. Ein hitziger Kampf entbrannte, als die Grenadiere des Königs alle Schnecken für sich beanspruchten, und die Tatsache, dass jeder Bauer gnadenlos getötet wurde, wenn er seine Schnecken nicht freigab, löste eine Welle der Empörung aus, die schließlich in der französichen Revolution endete.
Die kurze Teit über, in der das Volk Frankreich regierte, war die Meereschnecke und generell alles, was aus dem Meer kam, Nationalgericht. Man aß sie nicht des Geschmackes wegen, sondern aufgrund der symolischen Bedeutung, die man ihr zumaß. Es war ja diesem Gericht allein zu verdanken, dass das Französiche Volk die Freiheit erlangt hatte, und auch wenn es abstoßen schmeckte, so verspeiste man es doch mit Enthusiasmus.
Doch mit der Zeit ging dieser Symbolismus verloren, man hatte wichtigeres zu tun als sich Geschichten von der guten alten Zeit zu erzählen. Kriege mussten gewonnen und verloren werden, Krisen musten überstanden werden, doch mit dem Muschel-essen an sich hat man nicht aufgehört, es war schon längst zur Gewohnheit geworden. Kein Franzose weiß mehr, warum er jeden Sonntag dieses Zeugs essen muss, doch alle reden sich ein, wie lecker es doch schmeckt, und desshalb wird diese Tradition wohl ewig bestehen.
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DANKE Esra, wieder ein Stück schlauer geworden. Nächste Frage: warum ist der Franzose seinen Käse am liebsten, wenn er vom Tellerrand läuft und so richtig stinkt?
Super lecker waren die! Jetzt wird mir auch das Wasser im Mund zusammenlaufen, wenn ich Abalones sehe! Gebe es ja eher ungern zu:-)
Liebe Grüße
Gabi
Ach, so war das damals mit der französischen Revolution? Na dann ist mir alles klar. :)
Hi Esra,
ein super Bericht, weiter so.
Sieht sogar richtig lecker aus, so gebraten auf dem Teller. Hat´s geschmeckt? Ich bin nicht so der Muschelfan.
LG Ursula