Kampf der Kaninchen gegen die Statistik, 7 : 4 für die Reicherts
Da wir wie schon im vorherigen Blogbeitrag erwähnt nicht reisen konnten, wuchsen wir an anderen Aufgaben. Wir möchten unsere Erlebnisse trotzdem mit dir, lieber Leser, teilen. Es geht letztendlich nämlich nicht nur um die Kaninchen, die wir geretten haben, sondern um unsere Erkenntnisse. Die wichtigste: Zeit ist LUXUS und wir sind uns dessen genießerisch bewusst!
Elf einwöchige Kaninchen ohne Mutter
Diesen Sommer hatten wir den fraglichen Luxus, viel Zeit zu haben – Gabis Knieverletzung hatte uns zuhause festgenagelt, ans Wegfahren war nicht zu denken. Da erreichte uns ein Hilferuf von einer Freundin, zwei Tage vor ihrer Abreise in den Sommerurlaub war ihnen eine Kaninchenmutter gestorben und hatte elf einwöchige Kaninchenbabys hinterlassen. Der Plan, die Jungen mit der Mutter bei den Eltern zu lassen war damit obsolet. Die Eltern (im fortgeschrittenen Rentenalter) wären mit der Handaufzucht so vieler Baby-Kaninchen überfordert gewesen.
Gabi hörte sich die traurige Geschichte an und dachte: „Was solls, wir haben ja Zeit.“ Und versprach, die elf Minikarnickel für eine Woche aufzunehmen. Letztendlich wurden doch viel Wochen draus.
Wir hatten vor etlichen Jahren auch sechs Beaglewelpen großgezogen, allerdings mit Hundemutter, und das war schon anstrengend genug.
Der Pappkarton unterm Tisch
Da stand nun der Pappkarton, bei uns im Wohnzimmer unterm Tisch. Später zogen die Kleinen in einen scheinbar riesigen Käfig um, in der sich elf winzige Wesen wärmesuchend aneinanderkuschelten. Wären nicht die großen Ohren gewesen, es hätten auch Ratten- oder Katzenbabys sein können. Zwei Tierbaby-Nuckelfläschchen und Bio-Ziegenvollmilch waren alles, was wir anfangs zum Füttern benötigen würden.
Alle zwei Stunden füttern, fast rund um die Uhr
Und sehr, sehr viel Zeit mussten wir aufwenden. Alle zwei Stunden brauchten die Jungen ihre Milchration. Die Kleinen hatten aber keine Ahnung, wie sie an die Milch aus den Nuckelflaschen drankommen. Sie mussten das erst noch mühsam lernen. Das erforderte viel Geduld und einen sehr sanften Umgang mit den Kleinen von unserer Seite.
Amy, Noah und Gabi taten ihr Bestes, den Kaninchen nacheinander die Milch einzuflößen. Kaum war das elfte Baby versorgt, konnten sie beim ersten wieder anfangen. Neben der Fütterung mussten auch die Kaninchenbäuche massiert werden. Nur so können Tierbabies pinkeln und kacken und würden keine lebensbedrohliche Verstopfung bekommen. Wir wurden oft nassgepinkelt und freuten uns sehr darüber. Dann waren wir nämlich mit dem Streicheln erfolgreich gewesen.
Damit die Jungen rund um die Uhr betreut waren, verzichteten wir auf unsere Nachtruhe. Glücklicherweise sind wir zu fünft, wir konnten also in Schichten füttern. Meistens waren es aber Amy und ich, die zur Stelle waren. Die Jungs mussten wir bei massiver Müdigkeit überreden, doch auch früh aus den Federn zu fallen.
Die Statistik war gegen uns
Trotz unseres unermüdlichen Einsatzes standen die Chancen für die Kaninchenbabys nicht gut. In so frühem Alter die Mutter zu verlieren, bedeutete fast das Todesurteil für den ganzen Wurf. Statistisch gesehen könnten wir froh sein, zwei oder drei von den elf Jungen durchzubekommen. Das war für uns der größte Stress, nicht das füttern und Saubermachen des Kästchens, sondern die Sorge um die kleinen Kaninchen. Es nahm uns extremst mit, wenn eines der Kleinen schlapp machte und wir hilflos da standen und alles gekümmere nicht half. Die Kanninchen, die im Sterben lagen quälten sich. Sie schienen Krämpfe zu haben und krümmten sind. Eine von uns hielt das geschwächte Kleine dann ständig am Körper. So verloren wir in der ersten Woche drei schwache Kaninchen, die nicht richtig trinken konnten. Jedes Einzelne war für uns ein großer Verlust.
Rockys Kampf ums Überleben
Nach und nach lernten die Kleinen, besser zu trinken, sie waren schneller mit der Nahrungsaufnahme fertig und legten an Gewicht zu. Nur einer machte uns ständig Sorgen, er nahm kein einziges Gramm zu. Amy hat den Winzling Rocky getauft, weil er sich so tapfer gegen sein drohendes Schicksal stemmte, ein richtiger kleiner Kämpfer. Wir schauten in der Zeit die Rocky Filme an. Beim Füttern spielten wir die Filmmusik ab. Das wurde so ein Ritual.
Tagelang versuchte Amy alles, um Rocky am Leben zu erhalten, leider vergeblich. Irgendwann war Rocky so schwach, dass er (vielleicht war es auch eine Sie) klammheimlich aus dem Leben schied. Das war noch das Schlimmste, er starb nicht wie die anderen in unseren Händen, sondern allein in der Kiste. Amy hatte ihn nur kurz zwischen die Geschwister geparkt und er hat einfach aufgehört weiterzuleben. Das war der traurigste Moment unseres Kaninchenabenteuers.
Das kleines Wunder in unseren Händen
Zum Ausgleich war der Rest der flauschigen Bande extrem anhänglich. Kaum tauchte eine menschliche Hand im Käfig auf, schwupps saß schon ein Karnickel drin. Wir waren jetzt als Ersatzmutter anerkannt.
Einen seltsamen Zwischenfall hatten wir noch. Manchmal fiel ein Kanninchen beim Trinken in Ohnmacht. Es trank schnell und gierig, anscheinend zu schnell, dann krampfte es und schwupps war es komplett schlaff. Rappelte sich dann aber wieder auf. Eines morgens, Amy fütterte allein, weil wir alle noch so müde waren – Amy gehört übrigens für ihre Aufopferung der Kaninchenorden verliehen – kam Amy mit einem weiteren toten Kanninchen weinend an mein Bett gerannt. Was für ein Stress…
Wieder eins, welches zu hastig getrunken hatte und dann schlagartig weg war. Aber diesmal rappelte er sich nicht auf. Das Herzchen schlug nicht mehr, er war tot. Da es aber gerade erst passiert war, dachte ich, dass Herzmassage den Kleinen vielleicht wieder lebendig machen könnte. Er war ja putzmunter gewesen, kurz zuvor und nicht so kränklich wie die anderen, die bereits im Garten ruhten. Die Wiederbelebung half, ich hauchte ihm Luft in das geöffnete Mündchen und massierte den winzig kleinen Oberkörper mit zwei Fingern und tatsächlich schafften wir es. Ein WUNDER!
Diese perfekten kleinen Wesen in unserer Hand – das Wunder Natur
Das ist es übrigens, was uns am meisten veränderte in dieser Zeit. Diese Lebenslust der kleinen Kaninchen zu spüren. Sie wollten leben und taten alles dafür. Richtige Kämpfer waren das. Sie waren so winzig und so perfekt. Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus. Diese süßen, kleinen Pfötchen, die Mäulchen, als sie die Augen öffneten und uns anschauten. Die Öhrchen, die sich schließlich immer größer aufstellten. Und dann hoppelten die Kleinen immer munterer in ihrer Kiste herum. Wir versuchten sie so schnell als möglich von der Ziegenmilch wegzubekommen. Die tut Kaninchen nicht wirklich gut, aber Kaninchenmilch gibt es ja nirgends zu kaufen.
Jetzt reichts – der Rest überlebt!
Jetzt waren nur noch sieben, sechs-ein-halb – wenn wir den wiederbelebten in Betracht ziehen – von den ursprünglich elf Kaninchen, und wir hofften inständig, dass das Zehn-kleine-Negerlein-Spiel vorbei war. Die Hoffnung trog nicht, die kleinen Hoppler tranken fleißig ihre Milch und fingen schon an, geschabte Karotten und Löwenzahnblätter zu knabbern.
Schon bald konnten wir gar nicht genug Löwenzahn aus unserem Garten heranschaffen, so gefräßig war die Karnickelschar. Wir mussten den Sammelradius gewaltig erweitern. Löwenzahn aus den Weinbergen war verboten, wegen der Pestizid-Kontamination. Mit der Karotten-Löwenzahn-Salat-Diät legten die Kaninchen fleißig an Gewicht zu und wollten auch aus ihrem Käfig ausreißen, noch passten sie zwischen den Gitterstäben durch. Keine gute Idee, denn ständig lauerte die tödliche Gefahr in Form von unserem Tigerdackel Grindel im Wohnzimmer. Grindel hatte die Kleinen buchstäblich zum Fressen gern, und wir mussten schon in der Flaschenfütterungsphase schwer aufpassen, dass sie keines der Babys wegschnappte. Auf diese Art wollten wir auf gar keinem Fall eines verlieren.
Zum Glück sind Kaninchen Vegetarier
Die Kaninchen wurden immer »verfressener«. Das war schon ein Schauspiel, wenn man das Grünzeugs und die Karotten in den Käfig legte. Ich war zu der Zeit extrem froh, dass Kaninchen Vegetarier sind, sonst hätte ich meine Hand nicht mehr in den Käfig gehalten.
Nach drei Wochen Intensivpflege waren die sieben Überlebenden über den Berg. Jetzt fraßen die Mini-Karnickel ohne Unterlass, das Knabbern und Mampfen war eine ständige Hintergrundgeräuschkulisse. Sie hoppelten und sprangen munter in ihrem Käfig herum und waren absolut handzahm. Man brauchte nur die Hand in den Käfig zu halten, da sprang schon einer der Hoppler hinein und kuschelte.
Das war auch gleichzeitig der Lohn unserer Mühen. Mit den völlig anhänglichen Kaninchenjungen konnten wir wunderbar spielen. Nur unser Dackel zeigte weiterhin leichte bis mittelschwere Symptome von Eifersucht.
Leider ging auch diese Phase zu Ende und die sieben flauschigen Fellknäuel mussten wieder zurück zu ihren Besitzern. Der Abschied fiel uns schwer, die Kaninchen hinterließen eine sichtbare Lücke, so waren sie in der kurzen Zeit Teil unseres Alltags geworden.
Zeit ist Luxus und wertvoller als Geld
Uns wurde bewusst, dass ZEIT ein großer Luxus ist. Ja, vielleicht ist in der heutigen Zeit, ZEIT der größte Luxus. Wir möchten die Erfahrung mit den Kaninchen nicht missen. Wir sind daran gewachsen und die kleinen Kaninchen auch. Es hat uns als Familie mal wieder enger zusammengebracht. Auch das ist ein nicht zu unterschätzender Luxus. Zeit mit der Familie zu haben.
Zumindest konnten wir stolz darauf sein zusätzlich zu all der Erfahrung, der Statistik ein Schnippchen geschlagen zu haben. Sieben von elf einwöchigen Waisen hatten überlebt und wuchsen zu stolzen blauen Wienern heran. Davon haben wir uns einige Wochen später überzeugt, als wir unsere Freundin besuchten. Aus unseren winzigen Pflegekindern waren richtige große Brummer geworden, und sie kannten uns noch! Sie drängelten sich richtig vor, um uns zu begrüßen. Auch Kaninchen sind richtige Charaktere. Wir konnten sie, obwohl sie optisch nicht zu unterscheiden sind, noch unterscheiden. Mission accomplished.
Hallo,
Ich bin grad zufällig über die Webseite gestolpert und hier hängen geblieben.
Das ist mal eine reife Leistung! *Applaus* Was für eine starke Geschichte. Meinen Respekt!
Mit einem Tränchen im Knopfloch und sehr viel Anerkennung bedanke ich mich ganz herzlich fürs Erzählen.
Lieben Gruß!