Arnol Blackhouse
von Esra
In den schottischen Highlands sowie auf den vielen Inseln darum herum lebten die Menschen bis vor wenigen Jahrzehnten noch in sehr, sehr traditionellen Behausungen. Sehr traditionell, weil das Konzept der Blackhouses viele Jahrhunderte alt ist: Doppelte Steinwände mit Erde in den Zwischenräumen zum Isolieren, ein Dach aus Stroh und Gras, und ein offenes Torffeuer in der Mitte. Ein Schornstein war nicht vorgesehen, der Rauch zog einfach durch das lose Dach ab, und das Vieh lebte in den selben vier Wänden wie die Menschen.
Es ist wohl kaum verwunderlich, dass diese Art der Behausung mittlerweile gänzlich ausgestorben ist… allerdings war sie vor nicht allzu langer Zeit auf Lewis noch Gang und Gäbe: Bis in die Siebziger hinein lebten einige Familien noch in den fast mittelalterlich anmutenden Hütten!
Dieser Umstand aber ermöglichte es auch, dass man eines dieser Häuser bis zum heutigen Tag in seinem originalen Zustand belassen konnte, sodass es nun besichtigt werden kann… und das haben wir auch vorgestern getan.
Es kam einem schon fast wie eine Zeitreise vor, durch die viel zu kleine und enge Tür des Blackhouses zu treten und sich in einem finsteren, spartanisch eingerichteten Raum voller Torfqualm wiederzufinden. Die Wände bestanden aus rauen, unkompliziert aufgehäuften Steinbrocken, die Böden waren entweder aus Steinplatten oder einfach aus festgetretener Erde, und vom Dach hing Stroh herab. Atmen war, vor allem im Wohnzimmer, wo das Feuer gemächlich aber beständig vor sich hinqualmte, nur bedingt möglich. Das Gefühl, das von dieser vormittelalterlich anmutenden Behausung vermittelt wurde, war tatsächlich so aus einer anderen Ära, dass ein altes und vergilbtes Buch, welches wohl schon seit Jahrzehnten auf einem Schrank sein Dasein fristete, selbst zu einem mysteriösen und unpassenden Artefakt aus ferner Zukunft zu werden schien.
Es bedurfte nicht allzu viel Vorstellungsvermögens um sich klarzuwerden darüber, dass die Bewohner dieser Hütten wohl wirklich von morgens bis abends, tagein tagaus, Woche für Woche und Jahr für Jahr nur damit beschäftigt waren, für ihr Überleben zu arbeiten. Die Schafe, Hühner und Kühe mussten versorgt werden, man musste die Felder bestellen, Essbares herstellen, Torf musste gestochen und das Dach musste jedes Jahr neu gebaut werden. Viel Freizeit kann da nicht abgefallen sein…
Doch trotz all der Unannehmlichkeiten schien diese Art des Lebens zu funktionieren; immerhin war sie viele Jahrhunderte lang gängig in den ländlichen Gegenden Schottlands. Irgendwie schien alles seinen Sinn oder Zweck zu haben: Klar, wenn das Vieh im Nebenzimmer haust und die Hühner einem zwischen den Füßen herumrennen, ist das ein signifikanter Abstrich am Komfort… es hatte aber auch den Vorteil, dass es in dem Blackhouse gleich viel wärmer wurde, und dass man sich das Errichten und Heizen eines weiteren Gebäudes sparte.
Auch der dichte Qualm von übelster Geruchsklasse diente nicht lediglich der Verpestung der Atemluft: Stechmücken, Käfer und anderes Ungeziefer hielten es nicht in ihm aus und mussten türmen, die Bewohner blieben von Mückenwolken und den daraus resultierenden Stichen am ganzen Körper verschont. Außerdem gab das Stroh auf dem Dach ein erstklassiges Düngemittel ab, wenn es ein Jahr lang durchgehend mit Torfqualm behandelt worden war.
So lief das Leben für die „Arbeitsklasse“ der schottischen Gesellschaft mehr oder weniger rund und ohne viel Hungerleiden, wenn auch recht rau und ohne Komfort.
Das von uns besuchte Blackhouse gilt übrigens weithin als eines der bei weitem gemütlichsten und angenehmsten Hütten dieser Art… und das will etwas heißen. Die rauen Betten, die wir dort vorfanden, waren keineswegs in jedem solchen Haus eine Normalität; oft wurde einfach auf dem Boden geschlafen, um das Feuer herum.
Als die Bewohner der Blackhouses irgendwann überdrüssig wurden von ihren spartanischen Hütten, zogen sie im Laufe der 50er, 60er, manche sogar erst in den 70ern aus und richteten sich in weitaus wohnlicheren Gebäuden ein, solchen, wie wir sie e heute selbst kennen. Etwas unkreativ in der Namensgebung wurden die neuen Häuser mit der Bezeichnung „White-houses“ bedacht, vielleicht, um ihre Gegensätzlichkeit zu den Blackhouses herauszukehren. (Sehr weiß sind all diese Häuser aber bei weitem nicht… die gängige Farbe eine Gebäudes auf den Hebriden ist Braun oder Grau, ein bunter Anstrich würde bei den hiesigen Witterungsverhältnissen innerhalb kürzester Zeit ruiniert sein, erklärte man uns. Farbe hält auf Lewis nicht)
Ich persönlich fand es höchst interessant, einmal einen Einblick in die Leben der Menschen von Lewis der vorletzten Generation zu bekommen. Die Tatsache, dass das Haus noch in genau dem Zustand ist, in dem es verlassen wurde (nun ja, es standen in jeder Ecke ein paar Feuerlöscher, für alle Fälle…) gab der Sache eine fast greifbare Authentizität.
Hallo !
Ja, anscheinend sind die verqualmten Hütten nicht nur für die Atemwege ein Horror, sondern auch für die Augen.
Gute Reise !
Lutz
Hi Ursula,
Vielleicht hört Esra ja auf Euch?
Mal sehen, ob wir Andrea aus Stornoway vielleicht treffen können. Würde mich auch sehr interessieren.
liebe Grüße
Gabi
Hi Sandra,
ja, Esra schreibt wirklich gut. Nur manchmal muß ich ihn fast schon dazu nötigen :-)
Es wäre einfacher für mich, wenn ich nicht immer alle Beiträge schreiben müsste und dann noch die Bilder sichten und bearbeiten. Ich schaff das aber noch ….
Liebe Grüße
Gabi
Hi Lutz,
das hört sich ja wirklich interessant an. Habe es als ebook nur auf Lateinisch gefunden, das dauert dann doch zu lange zu lesen :-)
Wurden die Leute da aufgrund des Rauchs blind?
liebe Grüße
Gabi
Hi Esra,
ein toller Text. Kann mich Sandra nur anschließen und dich ebenfalls ermutigen, Berichte für Reiseführer oder Kurzgeschichten zu schreiben:-)
Ist ja irre, dass sich ein Leser aus Stornoway bei euch gemeldet hat! Hoffentlich könnt ihr euch wenigstens mal auf einen Kaffee treffen;-)
LG Ursula
Hi Esra
Sehr spannender und interessanter Text, vielen Dank! Hast du schon einmal daran gedacht, Berichte für Reiseführer zu schreiben? Ich finde, deine Art zu schreiben würde sich gut dafür eignen..
Liebe Grüsse
Sandra
Hallo Esra !
Prima Text – hat mich an die „Lappländische Reise“ von Carl von Linnè erinnert. Ein Buch welches jeder Skandinavienfan mal gelesen haben sollte. Beim ZVAB gibt es ganz gut erhaltene Exemplare für kleines Geld (http://www.zvab.com/displayBookDetails.do?itemId=189868827&b=1)
Hier ein kurzer Ausschnitt: „Es kamen so viele Finnen zu mir, daß mit vor ihnen Angst wurde, denn alle waren lippi und nahezu blind. Oft sah man hier, wie ein Blinder von einem weniger Blinden geführt wurde. Eitel war es für mich, vollkommen nutzlos, ihnen irgendein Mittel zu verschreiben, solange causa peccans ub’tque praesens war, sc. ihre Rauchbuden, und es wäre mein einziger Rat, sie allesamt an die Wand zu hängen und ihnen fünfzehn Schläge mit der Rute zu verabreichen, bis sie einen Schornstein in ihre Stuben bauen, fehlt ja nicht an Stecken, deren es bedürfte, der Obrigkeit Respekt zu verschaffen. Abstruseres hab ich sine causa sufficiente nimmer gesehen. Und solcherart waren die Mannsbilder von dreißig à vierzig Jahren, daß sie wie Siebzigjährige aussahen!
Gute Reise !
Lutz