Wir waren natürlich aufgrund von anregenden Gesprächen später aufgebrochen als geplant und das obwohl ich schon gegen 6:00 Uhr am Strand spaziert war.
Auf der Insel Noirmoutier sollte es einen großen Stellplatz geben. Den hatte uns jemand empfohlen, der wohl Trubel mag. Wir fanden den Platz nachdem wir durch zahlreiche mit Autos, Fahrradfahern und schlendernden Touristen verstopften Kreisel endlich zur Stadt gekommen waren. Der staubige, trostlose, schattenlose und völlig überfüllte Parkplatz war so laut und ungemütlich, dass wir ganz unsicher waren, was wir tun sollten? Noch dazu war es so heiß und schwül. Jedesmal, wenn ein Wohnmobil durch die Reihen fuhr um noch einen Platz zu ergattern, oder eines der rasenden, lauten Mopeds wieder eine Runde drehte, hüllte uns eine Staubwolke ein und legte sich danach schmutzig über das Mobil und die Polster. Die offenen Fenster liesen Dreck und Lärm ungehindert zu uns hinein.
Ich lief mit den Jungs in die Stadt Richtung Hafen. Wir hatten eigentlich beschlossen zu blieben, so kehrten wir vor dem Hafen wieder um, denn die Sonne brannte nur so auf meine eh schon verbrannte Haut. Ich könnte da ja später in den Abendstunden bei besserem Licht noch fotografieren. Wir aßen zu Mittag und es wurde immer trubeliger um uns herum. Wie unangenehm, ständig kamen und gingen Mobile und Autos, dazuzwischen noch die Motorräder und Roller. Es war unglaublich laut und stickig. So fuhren wir relativ spät doch noch weiter. Wir sehnten uns nach einer ruhigen Nacht und frischer Luft.
Häuser im Ort – die Häuser sehen so ganz anders aus, als in der Bretagne. Mir gefallen sie sehr gut!
Schilderwald Lektüre bei jedem Kreisel!
Das Fahren ging mir schließlich an die Nerven; die Straßen waren eng und voll und nach ein paar Stunden konnte ich keine weiteren Kreisel mehr sehen. Das Lenken des Wohnmobils ist Schwerstarbeit. Tausende Schilder müssen in kurzer Zeit gelesen und interpretiert werden. Esra und ich hatten einen netten Campingplatz angesehen, aber Gunter wollte dort nicht hin. Es war ihm lieber, das Geld zu sparen und einen günstigeren Stellplatz zu finden. Schade eigentlich. Der Platz lag schattig mit großen Parzellen im Wald und hatte Strandzugang.
Schließlich fanden wir den Platz in der Nähe der Kirche von Notre Dame de Monts. Als dann gegen 21:30 Uhr der Himmel anfing sich orange zu verfärben machten wir uns doch auf die Suche nach dem Meer! Und es war wirklich schön, als wir es geschafft hatten, an den unzähligen Souvenirbuden und Fischrestaurants, Spielhöllen und sonstigen von Touristen überfüllten Einrichtungen vorbei, auf nassen Sand zu treten. Wir durften einen traumhaften Sonnenuntergang bewundern und fotografieren. Esra lief den ca. 1,5 km langen Rückweg barfuß zurück.
Esra im Sonnenuntergang
Gabi fotografiert Trubel – am Strand finde ich immer Ruhe und Motive
Und weiter ging es gen Süden. Relativ nah, bei Etel fanden wir einen Leuchtturm, na ja, so ein rotes Gestell, an einer Flußmündung. Das Wetter war klasse, strahlende Farben, grüne moosbedeckte Felsen im Wasser und ein Wohnmobilstellplatz direkt hinter den Felsen. Der Platz scheint vor allem für Angler interessant zu sein. Es war noch so früh am Tag und wir waren nicht weit gekommen, so entschlossen wir uns doch weiterzuziehen. Es fiel mir schwer, denn der Platz war wirklich wunderbar.
Beim Pointe de Kervoyal fanden wir schließlich auch strandnah noch einen Stellplatz. Wir hätten doch früher nach einem Platz suchen sollen, denn durch den Feiertag am Donnerstag und das daraus resultierende lange Wochenende waren extrem viele Wohnobile unterwegs. Wir belegten auf dem staubigen engen Platz dann auch die letzte enge Parklücke. Doch die Leute waren so nett! Es war ein klasse Erlebnis! Während der nächsten zwei Tage lernten wir fast alle Mobilisten kennen. Wir standen inmitten von Franzosen, die alle wegen des warmen Wetters ständig im Freien waren. Viele schienen sich auch zu kennen und hatten sich hier zum Feiertag getroffen. Einer der Herren hatte auf dem Mobil stehen, dass er Produkte rund ums Mobil verkauft, da unsere Batterie schon sehr schwächelt, und es die Sonne teilweise gar nicht mehr packt alles zu laden, sprach ich ihn auf sein Windgenerator an. So kamen wir ins Gespräch und es war gut, dass seine Frau etwas Englisch sprach. Der Generator war für einen Spontankauf zu teuer (etwa 1700 Euro) aber als nette Herr unser Mobil sah, stellte er uns seine Reinigungsprodukte vor.
Wir hatten natürlich das älteste Gefährt und wir putzen unser Womo auch nicht dauernd, haben erstens keine Zeit und zweitens ist es uns nicht so wichtig, dass es immer glänzen muß. Aber diese dunklen Streifen, die immer von Dach herunterlaufen und die wir tatsächlich schon erfolglos zu entfernen versucht hatten, die störten uns doch. Mit einer Sprühflasche und einem weichen Lappen waren die Streifen innerhalb weniger Sekunden, wie mit Magie weg! Wow, das war echt klasse! Wir kauften einen Kanister von dem ziemlich teuren Zeug. Und stell Dir vor – es hieß auch so: magic „irgendwas“.
Kieselsteine am Strand
Ich brachte dann zu ersten Mal den Mut auf, völlig fremden Leute ein paar unserer Fotos zu zeigen. Das war schon interessant. Einer der Herren fand es befremdlich, dass Deutsche Fotos aus Frankreich hatten. Und dazu noch so richtig gute. Ich erklärte, dass es manchmal besser ist, wenn man von außen kommt, nicht in einer Region aufgewachsen ist, um die ganze Schönheit genießen zu können, Uns geht es ja auch so, wenn Besucher kommen und die Weinberge wunderschön finden. Ich frage dann meist nur: „Ah, ja, wo denn?“ Sehe die Schönheit nicht mehr, weil ich täglich davon umgeben bin. Das Erlebnis war interessant.
Der Strand war fotografisch eher langweilig, das war aber auch mal gut so. Es war ja Feiertag und ich konnte getrost nicht arbeiten! Wunderschöne Kammmuscheln lagen im Sand und schöne kleine Kieselsteine. So sammelten wir, nicht, weil wir Muscheln bräuchten, sondern eher zur Meditation. Später kamen wir auf die Idee, evtl Steinchen für Runen zu sammeln und das beschäftigte uns doch eine ganze Weile. Wir pendelten also zwischen Gesprächen und kurzen Strandausflügen hin und her. Ich machte früh morgens, vor Sonnenaufgang schon, lange Spaziergänge, praktizierte täglich meine „Do In“ Übungen und genoß die Ruhe.
Die Kinder genossen ausgiebige Meeresbäder, es war wirklich sehr warm. Doch jedesmal sah das Mobil im Innenraum danach weniger gut aus. Immer mehr Sand fand den Weg nach drinnen. Zwei deutsche Mobile standen auf dem Stellplatz und ich lief hin, um zu sehen, wer das denn sei. Ich bin ja immer sehr neugierig und freue mich neue Menschen kennenzulernen. Ins Gespräch vertieft fand ich keinen schützenden Schatten und bekam mit den vielen netten Infos über das Reisen im Süden gratis noch einen Sonnenbrand auf den Oberarmen, aua! Das tat in dem moment schon weh!
Mit einem der Ehepaare freundeten wir uns an, das war sehr schön sich so nett auszutauschen. An einem Abend gab es einen genialen Sonnenuntergang und mein Fotofinger juckte, doch das Gespräch war gerade so interessant, dass ich den Fotografenmodus erfolgreich abschaltete und auf die Fototour verzichten konnte, um das Gespräch weiter zu verfolgen. So etwas schaffe ich tatsächlich nur sehr selten!
schöne Muscheln und Steine
ein Seestern zwischen den Kieselsteinen
Und bevor ich es vergesse: am ersten Abend auf dem Platz hatten wir auch die Abalones zubereitet. Esra bearbeitete die harten Muskeln so lange mit dem Hammer, bis sie ganz weich und so auch etwas größer waren. Dann kamen sie sehr kurz, etwa eine Minute in die Pfanne und sie waren wirklich sehr, sehr lecker!
Gunter, der noch den meerig gammeligen Geschmack der Paua, die er vor zehn Jahren in Neueseeland gegessen, in sehr schlechter Erinnerung. Mein Gatte war an diesem Abend sehr positiv vom zarten Geschmack der Schnecke überrascht!
Trotz Feiertag und der damit verbundenen Probleme bei der Stellplatzsuche fuhren wir weiter gen Süden. Wir wollen ja noch was Neues sehen.
https://www.5reicherts.com/wp-content/uploads/2011/06/GReichert-7963.jpg533800Gabihttps://www.5reicherts.com/wp-content/uploads/2021/03/Leuchtturm-o.pngGabi2011-06-10 07:07:422019-01-13 18:09:33Leuchtturm an der Barre de Étel, Pen-Lan bei Billiers, Übernachtung Pointe de Kervoyal
Tolles Wetter hatten wir in den letzten Tagen, wir sind sehr beschäftigt, uns ins Französisch einzuhören, das klappt viel besser, wenn es warm ist und die anderen Mobilisten vor den Autos hocken:-) Wir sagen immer, dass wir kein Franzöisch können, dann reden die Leute trotzdem weiter aber langsamer und wir verstehen jeden Tag mehr. Das macht wirklich Spaß!
Vor lauter Gesprächen kam ich gar nicht dazu, die Fotos anzusehen, neue zu machen oder etwas zu schreiben…..
Ihr müßt also noch ein wenig warten. Und Gabi meinte ja, ich soll mal langsamer machen. Den Rat befolge ich jetzt mal. Ich kann sowieso nie alle Fotos hier zeigen!
Hier schonmal eine schöne Abendstimmung, bald meer…..
Herzliche Grüße aus der sonnigen Bretagne
Gabi & gang
Ps wir haben einen Mc Donalds mit angenehmer Musik gefunden. Endlich
https://www.5reicherts.com/wp-content/uploads/2020/04/Bretagne-Womo-4029.jpg8001200Gabihttps://www.5reicherts.com/wp-content/uploads/2021/03/Leuchtturm-o.pngGabi2011-06-03 11:36:532021-05-26 14:51:24weiter gen Süden…..
Unsere zwei Nachbar Damen schliefen sehr, sehr lange. Ich hätte gern noch etwas dem Franzöisch gelauscht, aber auch gegen 11:300 Uhr hoben sich die Fensterläden nicht. So fuhren wir ohne Verabschiedung weiter. In Lampaul Plourazel haben wir schon oft auf dem Aire communale übernachtet. So machten wir uns auf den Weg dorthin, denn mit etwas Glück würde es dort Duschen und eine Waschmaschine geben. Bisher waren wir nur in der absoluten Vor- und Nachsaison um Ostern und in den Herbstferien hier gewesen, da war natürlich alles zu. Jetzt Ende Mai könnten wir vielleicht Glück haben? Hatten wir nicht. Es standen zwar viele Mobile hier, aber Duschen gab es nicht und eine Waschmaschine auch nicht?! Schade. Zuerst überlegten wir noch weiterzuziehen entlang der Küste. In Plougerneau wollen wir am Montag eine Abalonezucht besichtigen, leider hatte ich zu relativ spät bei Sylvain, angerufen um einen Termin auszumachen. Jetzt wollen wir also nicht zu weit gen Westen ziehen, denn dann fahren wir zu viel ZigZack. Das Wetter war wieder sehr trüb, hie und da nieselte es. Wir ruhten uns aus, die Kinder liefen in den Ort um unser täglich Baguette zu kaufen.
Haus mit Bojen
Gegen Abend machten wir eine lange Wanderung entlang der Küste. Da es sehr trüb war, wurden die Karten der Kameras nicht gefüllt. Ich hatte nur 20 Fotos gemacht den ganzen Tag über. Auf dem Platz mit den vielen, vielen Mobilen hatte ich mich Gesprächspartnern gerechnet, doch es war so kühl und windig, dass sich keiner der Besitzer der teueren Gefährte (hier standen mehrere Mobile die weit über 200000 Euro kosten!) vor die Türen trauten. Überall sah man die Satellitenschüsseln auf dem Dach und Fernsehen flimmern! Wie schade, keine Gespräche.
Zur Zeit des Sonnenuntergangs liefen wir nochmal kurz gen Meer, doch keine Wolkenlücke lies ein Scheinen der Sonne zu. So waren wir an diesem Abend früh im Bett.
Und am nächsten Tag wird es spannend – da sahen wir uns die Abalone (Meerohrenzucht) an!!
Wir suchten uns eine Strecke auf der Karte, die touristisch schön angegeben war. Hier waren wir auch schon oft gewesen und so parkten wir wieder da, wo wir schon einmal übernachtet hatten. In Portsal gibt es einen Womostellplatz, den wollten wir einen Tag später anfahren, jetzt war erst mal das offene Meer angesagt. Die Sonne schien, das Meer war wieder tiefblau, eine traumhafte Kulisse! Wir fotografierten etwa eine Stunde lang, die Kids waren wieder zurück zum Mobil gegangen. Doch um Platz im Mobil zu schaffen erkundete ich mit den Kindern die Küste während Gunter das Essen vorbereitete. Wir aßen gemütlich und ruhten uns aus.
Täglicher Baguette Kauf
Doch dann fiel uns auf, dass wir es wieder verpasst hatten frisches Baguette zu kaufen. Also fuhren wir in Richtung des nächsten Supermarktes. Viel zu lange suchten wir, erst in den engen Gassen, dann auf kleinen Landstraßen anch einer Einkaufmöglichkeit. In Portsal, wo wir wieder durchkamen, sahen die Boote im Abendlicht so fantastisch aus, dass ich sehr gerne fotografiert hätte. Doch Gunter und die Kinder sahen schon ein Baguetteloses Abendessen und Frühstück vor sich. Eine grausame Vorstellung. Sie trieben mich an, weiter zu suchen. Kein Foto also, wie schade! Schließlich waren wir brotmäßig erfolgreich, kamen seltsamerweise auf dem Rückweg nicht mehr am Hafen vorbei und parkten dann wieder mit Blick zum Meer.
Französisch Unterricht vorm Wohnmobil
Die Sonne geht sehr spät unter. Wir hatten noch viel Zeit bis zum wirklich magischen Licht. Neben uns parkten dann zwei ältere Damen mit ihrem Wohnmobil ein. Ich suche ja immer den Kontakt, schlich mich also ums Mobil und da wurde ich auch schon auf deutsch angesprochen. Wie schön:-) Wir redeten also eine ganze Weile, eine Wolke zog vor die Sonne, wir holten alle weitere warme Pullover aus den Mobilen und trafen uns wieder auf der Sitzbank zwischen unseren Fahrzeugen. Die Frau meinte, es wäre schade, dass wir kein Franzöisch könnten. „Ja, leider kann man nicht alle Sprachen der Länder, die man bereist lernen“ meinte ich. Ein klein wenig Norwegisch haben wir gelernt und viel Englisch während unseres langen skandinavischen Winters. Für Franzöisch hatten wir keine Zeit gehabt…..
Pointe de Landuvez
So bot mir die Frau an, ein klein wenig Franzöischunterricht zu machen. Cool, eine gute Idee. Ich lernte also wieder die Deklination, die ich vor mehr als 20 Jahren vergessen hatte und hörte einfach ihrem Franzöisch zu. Es ist erstaunlich, wie viel ich verstehen kann, wenn sich jemand die Mühe macht etwas langsamer zu reden. Ich genoß das Gespräch sehr, Esra hörte ich auch etwas in die Sprache ein. Dann wurde das Licht schließlich wieder magisch und Gunter und ich zogen mit den Stativen und Kameras los. Der Horizont hing voller Nebelbänke, so konnten wir an diesem Abend keinen „green flash“, wie am Abend zuvor, sehen.
https://www.5reicherts.com/wp-content/uploads/2011/05/GReichert-6910.jpg533800Gabihttps://www.5reicherts.com/wp-content/uploads/2021/03/Leuchtturm-o.pngGabi2011-06-02 07:16:542019-01-13 18:03:11Pointe du Landunvez
Das Baguette – in Ermangelung an aktuellen Wikipedia Infos hier Esras Theorie – Fotos: Amy Reichert
Wer hat sich noch nicht die Frage gestellt, warum das französische Langbrot immer so lang ist und noch dazu oft an beiden Enden angebrannt? Tatsächlich, dies Mysterium hat schon vielen Gelehrten der Ochs-Fort Universität Kopfzerbrechen bereitet. Nach vielen Jahren, die von vollgesabberten Denkzettelchen, gekratzten Hinterköpfen und Kinnen sowie gerauften Haaren geprägt waren, hatten sich die Forscher endlich eine Erklärung erdacht, mit welcher man die Steller dieser Frage befriedigen konnte:
Das Baguette wurde in einer Zeit erfunden, in der es nicht ratsam war, nachts gleichzeitig draußen und allein zu sein. Niemand, der nicht zwei Meter groß und ebenso breit war wagte es, sich nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb seines Hauses blicken zu lassen. Das lag an all den Räubern, Dieben, Halsabschneidern, Geldbörsenentwendern und Steuerneintreibern, die sich in diesen Jahrzehnten unter allen möglichen Steinen und hinter allen möglichen Ecken verbargen, die im Gebüsche herumschlichen und sich durch die Gassen trieben, wo sie ihren unschuldigen Opfern auflauerten. Diese Feinde von Recht und Ordnung machten es ratsam, immer ein Verbrecher-bekämpfungs-Hilfsmittel mit sich zu führen. Bei reichen Leuten war dies immer in Form eines edlen Schwertes vertreten, bei Holzfällern fand man eine kurze Axt im Reisegepäck, und der finanziell benachteiligte trug für gewöhnlich ein Roffbom oder ein Kubmuff mit sich herum, zwei Gegenstände, die einem Knüppel mit Nägeln darin sehr ähnelten, aber zu dieser Zeit aber einen lustigen Namen hatten.
Auf der lauer mit einem Kubmuff
Nun gab es damals einen bettelarmen Bäcker, der so arm war, dass er sich nicht einmal Nägel leisten konnte, um sich ein Roffbom zu bauen. Alles was er besaß war ein Ofen, der von schlechter Bauart war und die Brote immer anbrannte, wenn man sie in die linke oder rechte Ecke legte. Aufgrund des Fehlens einer Waffe wurde der mittellose Bäcker immer wieder ausgeraubt, und die Wegelagerer hatten ihm in berechtigter Erwartung von Wehrlosigkeit alles bis auf seine schmuddelige Hose genommen. Es war ihm fast unmöglich, eines seiner französischen Rundbrote zum Markt zu bringen, da er spätestens auf halber Strecke sein Brot unfreiwillig gegen ein blaues Auge und ein paar Beulen eintauschte. Das musste sich ändern! Noch wusste er nicht wie, aber das sollte sich noch herausstellen. Als er nämlich eines Tages ein Brot gebacken hatte, das ihm fast die Zehen brach, als er es auf seinen Fuß fallen ließ, hatte er eine Idee. Er musste nur ein Brot backen, das man erst als Waffe benutzen konnte, bevor man es in der nächsten Stadt verkaufte. Wochenlang arbeitete er an einem geeigneten Brot-Design, bis er eines Morgens als stolzer Erfinder des Baguettes sein (sehr bescheidenes) Häuschen verließ, bereit, es mit jedem Banditen aufzunehmen. Wie auf Befehl kam ein solcher aus dem nächsten Gebüsch gesprungen. Er wedelte mit seinem Kubmuff, rannte auf den Bäcker zu und wollte ihm das neue Brot entreißen. Da riss dieser das unkonventionell geformte Gebäck nach oben und stach zu. Er traf seinen überraschten Angreifer leicht oberhalb der Nase, und auch leicht rechts davon, was diesem einen Schrei entlockte, der dem eines Menschen, der gerade einen spitzen Gegenstand ins Auge gestochen bekommen hatte, sehr ähnlich war. Verblüfft über des Bäckers neue Wehrhaftigkeit taumelte der Wegelagerer zurück, griff aber gleich wieder an. Diesmal bekam er einen Schlag auf die beschränkte Birne, auf welcher sich nun eine Beule zu dem kürzlich erworbenen blauen Auge gesellte. Der Bäcker addierte gelassen noch ein paar blaue Flecken zu dem Narbensamelsurium des Gesetzlosen, der mittlerweile winselnd auf dem Boden lag und dabei war, sich in das selbe Gebüsch zu verkriechen, aus dem er zuvor gesprungen war. Erfreut von seinem Sieg lief der stolze Erfinder des Baguettes weiter, schlug noch eine Handvoll anderer Personen nieder, die sich ihr täglich Brot mit der Besitzverringerung von fremden Leuten verdienten, und kam schließlich in der Stadt an. Dort beäugte man sein Gebäck zwar mit einer Mischung aus Interesse und Argwohn, doch Kaufbereitschaft zeigte niemand. Anscheinend ließ sich die Redensart „Was der Bauer nich kennt, frisster auch nich“ auch auf Zimmerleute, Schneider, Bankiere und Wachmänner übertragen. Bei einem Händler brauchte er es überhaupt nicht zu probieren, denn Dinge, die erst erfunden worden waren, hatten logischerweise auch keinen allseits bekannten Marktwert. Egal bei wem er anfragte, niemand wollte seine Ware zu einem gerechten Preis kaufen. Hinzu kam, dass der Bäcker in all der Vorfreude und heiterer Eile nur ein einziges Langbrot mitgenommen hatte, welches nun als sein Mittagessen dienen musste.
ZUM ANGRIFF!!
Paff!
ARGH!
Zack!
Er ergibt sich!
Flucht
Niedergeschlagen lief er nach Hause. Dass er auf dem Weg ungefähr ein halbes Dutzend mal überfallen wurde, kümmerte ihn wenig; er trug ja keinen Besitz bei sich. Dass ihm der ein oder andere rachsüchtige Bandit ein paar mehr Schläge als gewöhnlich über die Rübe zog, machte ihm allerdings klar, dass er seine Waffe doch nicht hätte aufessen sollen. Zuhause angekommen begann er sofort mit der Produktion von weiteren Baguettes, während er über die Art und Weise des Verkaufs grübelte. Die Leute mussten sehen, wozu es fähig wahr! Sie sollten wissen, dass sie unbedingt eines seiner knallharten und brutalen, gleichzeitig aber schmackhaften Langbrote haben mussten! Es musste berühmt werden!
Da lag das Problem. Er konnte auf dem Marktplatz wohl kaum einen Banditen nach dem anderen verprügeln, nur um den Leuten den Nutzen seiner Ware näher zu bringen. An dieser Stelle hörte er vorsichtshalber auf mit dem Nachdenken, denn sonst, so wusste er, wäre ihm wohl klargeworden, was für eine Schnapsidee das Baguette eigentlich war (im Grunde genommen war es ja keine Schnapsidee; mitnichten war ihm der Einfall im Schnapssuff gekommen, denn Schnaps konnte er sich selbst in seinen wohlhabendsten Zeiten nicht leisten. Eher entstand das Bild seiner Kreation erstmals in seinem Kopf, während er unter dem Einfluss eines ziemlich undefinierbaren Gesöffs stand, welches neben Hundepisse und Brackwasser wohl auch etwas Alkohol enthalten musste. Ganz sicher bei den Zutaten konnte man sich bei der dickflüssigen Brühe, die im abgestandenen Zustand gelegentliche Fluchtversuche unternahm, nicht sein, aber man konnte sie fast umsonst bekommen. Der gängige Liter-preis lag bei einer abgefressenen Apfelkrotze, einer halben toten Ratte oder einem ähnlich wertvollem Zahlmittel).
Doch ein weiteres mal würde das Schicksal dem geplagten Mann zum Erfolg verhelfen, er wusste es nur noch nicht. Als er nämlich am nächsten Tag sein Zuhause mit einer beträchtlichen Anzahl an Baguettes verließ und ein paar hundert Meter gelaufen war, traf er auf einen höchst sonderbaren Mann, der ein leichtes Persönlichkeitsproblem hatte. Er hielt sich für einen berühmten französischen Heerführer, welcher aber leider noch nicht bekannt war. Wie es sich noch herausstellen sollte, würde dieser Mann selbst der berühmte General und Diktator sein.
Mit seiner rechten Hand in seiner Hemdtasche stand er auf dem Weg herum und sah in den Augen unseres Bäckers sehr hungrig aus. Entschlossen, dem Fremden ein Brot zu verkaufen, lief er auf diesen zu und zeigte ihm seine Waren. Der Mann, der sich selbst Nalopeon oder so ähnlich nannte, war zur größten Freude des neuen Handelsmannes an einem Baguette interessiert. Da er sich selbst vielseitige militärische Kenntnisse zuschrieb, war er an allen möglichen Arten von Waffen interessiert, sogar an solchen, die man essen konnte. Kaum war das Geld überreicht, da stürmte ein uns wohlbekannter Übeltäter aus einem uns wohlbekannten Gebüsch und griff den ersten Menschen, der je ein Baguette gekauft hatte, an. Der Kampf zwischen den Beiden dauerte nur kurz an, und Napoleon trat siegreich aus dem aufgewirbelten Staub hervor, ein krümeliges Brot in seiner Hand.
In den darauffolgenden Jahren nutzte Napoleon seine Überredungskunst und angeborene Autorität, um das Baguette bei den Leuten beliebt zu machen. Es wurde berühmt, und jedermann wollte eines erwerben, was der Geldbörse des einst armen Bäckers sehr gut tat. Bald begannen auch andere mit der Herstellung dieses Erfolgsproduktes, und nach einiger Zeit hatte jeder Franzose mindestens eines an seinem Gürtel hängen, bereit, es mit jedem aufzunehmen. Diese neue Kampfeslust der Franzosen steigerte sich ins Unermessliche, und lief schließlich daraufhin hinaus, dass ein gigantischer, wütender und baguetteschwingender Mob aus gewöhnlichen Leuten die adlige Regierung stürzte. Allein durch die Erscheinung des Baguettes wurde die franzosische Revolution erst ermöglicht! Daher war es wohl kaum verwunderlich, dass das neue Regime Napoleon als Heeresführer freundlich begrüßte.
Irgendwann, als es keine Kriege mehr zu führen gab, hatte Frankreich wieder mit einem alten Problem zu kämpfen: Die unbändigbare Prügelbereitschaft, die eines der knüppelharten Brote immer wieder aufs neue in jungen und starken Männern weckte, führte zu ewig neuen Ärgernissen. So wurde ein Verbot erteilt, welches einer Bäckerei untersagte, Baguettes zu verkaufen, die einen bestimmten Härtegrad überschritten. Es wurde fortan nur noch als Speise benutzt, das alte Design behielt man aber bei.
https://www.5reicherts.com/wp-content/uploads/2011/05/GReichert-0112.jpg522800Esrahttps://www.5reicherts.com/wp-content/uploads/2021/03/Leuchtturm-o.pngEsra2011-06-01 07:00:072019-01-13 18:02:16Die Entstehung des Baguettes – von Esra