Eshaness ist bekannt für außergwöhnlich große Wellen und das über Shetland hinaus. Bisher hatten wir absolut keine Wellen sehen können. Müde dümpelte das Meer so vor sich hin. Nach dem gemütlichen Frühstück schaute ich beim spülen aus dem Fenster und in der Ferne konnte ich sie sehen! Große Wellen. Wo kamen die denn jetzt her? Wir haben keinen Sturm. Die müssen sich draußen auf dem Atlantik gebildet haben. Klasse!
Wie ein Musikstück näheren wir uns dem großen Finale
Ich sprang schnell in die Schuhe und lief ohne Jacke zu den Klippen, auch da tat sich was. Das Meer war weis vor Gischt, laut knallte das Wasser gegen die Felsen. Genial! Irgendwie kam es mir so vor, als spielte jemand ein Musikstück mit uns. Es fängt leise an, erst ein Instrument, dann das nächste und erst neimal spielt es langsam und leise. Jeden Tag kam bei uns ein Instrument dazu, erst die Klippen, der Leuchtturm, das Licht. Dann das Nordlicht, dann hohe Wellen und am Schluß noch Wolken mit dramatschem Licht und dann alles zusammen! Das große Finale! Ahh!
Treffen mit Michael, dem früheren Leuchtturmbesitzer
Ich schwätzte gerade mit einer Gruppe junger Leute aus ganz Europa, erzählte ihnen vom Nordlicht und auf was sie achten müssen, um es auch zu sehen, da sah ich Michael. Er hatte uns vor ein paar Tagen in den Leuchtturm gelassen. Natürlich wollte ich gerne nocheinmal mit ihm reden. Er kennt den Leuchtturm und die Region wie kaum jemand. Schließlich hatte er zwölf Jahre darin gewohnt. Ich lud ihn auf einen Tee ein und ich zeigte ihm ein paar der Leuchtturm Fotos. Er staunte auch über das Bild im Schneesturm. Michael hatte in den letzten Tagen versucht, den Kometen zu sehen, war aber nicht erfolgreich gewesen. Das Bild mit Leuchtturm, Nordlicht und Komet fand er daher auch super.
Gemeinsame Wanderung zum Grind o da Navir
Michael meinte, wir müßten unbedingt zum Grind o da Navir, das müsse man gesehen haben. Wie gewaltig dort das Meer wütet. Die Felsen, die dort hochgeworfen würden, wären absolut sehenswert.
Wir hatten sowieso vor dahin zu laufen, so begleiteten wir Michael auf der Wanderung. Michael ist über 70, er läuft mit einem Stock und trotzdem schien er uns davon zu schweben. Er war schnell und obwohl wir bereits fitter als noch vor ein paar Wochen waren, schien er müheloser vorranzukommen als wir.
Mir machte es sehr großen Spaß mit einem erfahrenen Füher zu laufen. Michael zeigte uns die Stellen, wo die Otter sich am Felsen reiben und wie Otterpoo aussieht. Ich hätte das nicht erkannt und auch nicht erwartet, dass die Otter hoch oben auf den steilsten Klippen klettern.
Die Urgewalt des Meeres ist hier eindrucksvoll zu spüren
Immer wieder drehte Michael mit seinem Stock Steine und Felsbrocken um. Wuchs Gras darunter, war das ein Zeichen, dass der Stein erst vor kurzem auf den oberen Rand der Klippen geworfen worden war! Und bedenkt: das Meer ist teilweise 50m unter uns und wir liefen gut 20-30m im Land! Hier in einem Sturm zu laufen ist lebensgefährlich! Nach unzähligen Gattern und Treppen, die wir überwinden mußten, erreichen wir die Stelle, wo das Meer am gewaltigsten hereinrauscht. Tonnenschwere Felsbrocken fliegen hier im Sturm umher. Weit im Land müssen wir einen Wall der aus ca. 50cm großen Felsenbrocken augetürmt ist, überwinden. Die wurden alle in den Stürmen hier abgeladen! Was für eine Kraft das Meer doch hat. Ich schaue mir die Strände, die wir erwandern, immer sehr genau an. Die Grenze der höchsten Flut ist meist gut erkennbar. Dort gibt es einen Absatz aus größeren Steinen oder einfach ein Absatz im Sand. Hier sind diese Dimensionen enorm. Weit im Land und auch auf dem Gras findet man große Felsbrocken.
Der Tag war für unsere Wanderung perfekt! Große, wilde Wellen rauschten und knallten. Wir kletterten auf den Felsen, fingen an zu fotografieren. Esra war mutig und wagte sich relativ weit nach vorne. Das gab ein gutes Motiv – als Größenvergleich hielt er her, unser Ältester. Michael blieb noch eine Stunde, dann verabschiedete er sich von uns. Wir verbrachten den ganzen Nachmittag auf den Felsen und staunten. Die Sinfonie erreichte gerade das große Finale! Eine ganze Woche solcher Wellen hätten wir gar nicht ausgehalten. Dann hätte ich es nicht mal geschafft zu essen :-)
The Cannon, Eshaness
Es war spät, als wir im Leuchtturm ankamen. Wir ruhten uns ein wenig aus. Liefen aber bald wieder los, das durften wir nicht verpassen. Eigentlich war unser Plan gewesen, nochmal zum Grind o da Navir zu gehen. Doch auch die andere Richtung reizte uns. So liefen wir hinunter ans Meer. Das Finale war wohl noch nicht zu Ende.
Das Licht war super, die Sonne stand schräg und beschien die Felsen, die rot aufleuchteten. Hier in Eshaness gibt es einige Blowholes und dieses hier im Süden blies gerade, was es das Zeug hielt. Was für ein Spaß! Ich wollte das Schauspiel filmen, weil ein einzige Fotos diese Aufführung nicht zeigen kann! Gerade, als ich den Film gestartet hatte, lachte Gunter giggelnd vor sich hin. „Hihi“, ich schimpfte mit ihm, startete den Film nochmal neu. Und dann konnte ich es selbst kaum unterdrücken :-) Der Drache, wie wir – nur Noah war mit von der Partie – ihn schnell einstimmig nannten, blies schnaubend und er hörte auch nicht auf, als die Wellen längst weg war. Dann spuckte er noch zwei, drei mal hinterher. Es war wirklich lustig. Ich konnte schließlich das Giggeln auch nicht mehr unterdrücken.
Vor lauter Glück ist die Fotografin fast erfroren
Wir genossen den Abend sehr. Ich vergass mal wieder die Zeit und die Kälte, aber nicht lange. Der Wind blies ganz besonders biestig, bald zitterte ich am ganzen Körper. Vielleicht war das auch die Erschöpfung? Ich schaffte es mit Gunters Hilfe, zum Schutz gegen den Wind die Regenjacke über zu ziehen und bekam die schmerzhaft kalten Finger gerade noch in die wärmenden Handschuhe.
Warum Whisky in Schottland besonders gut schmeckt
Müde war ich und geschafft! Doch Esra wollte den wegen Nordlicht verpassten Abend nachholen. Ich lies mich überreden, ihn zum Wifi zu fahren. Nochmal 10km Fahrt und Kälte im Auto. Brrr! Doch die Freundin war nicht online. Ich fror tatsächlich wie ein Schneider, sehnte mich nach dem Sofa in der warmen Leuchtturmstube und einem Schluck Whisky! Mit dem Notebook auf dem Schoss verspannte ich mich, scharfe Messer bohrten sich in meinen Rücken, aua. „Esra! Ich will heim…“ Gefrustet stimmte er nach einer Stunde zu.
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