Bootsfahrt mit der Dunter III und Jonathan Wills nach Yell
Unsere Tage auf Shetland waren gezählt. Wir waren aber bis zum Schluss sehr aktiv und immer unterwegs. Am letzten vollen Tag saßen wir gerade bei Lily und Jan, unseren Vermietern, beim Kaffee zusammen. Die Burra Bären waren auch in diesem Haushalt präsent. Jan hatte von Wendy einen vielgetragenen und geliebten Norweger Pulli in einen Bären verwandeln lassen. Leider dachte ich nicht dran die beiden mit dem recycelten Haustier zu fotografieren. Ein Verwandter von Lily rief an, als wir gerade über die berühmten Fair Isle Pullover sprachen. Er hätte seine guten, warmen Wollpullover zu warm gewaschen. Könnte Lily diese wohl auf ihr Holzbrett, welches speziell dafür gibt, aufspannen und den fast 40 Jahre alten Kleidungsstücken wieder ins rechte Format zu verhelfen! Diese Pullover sind kein Touristending!
Lilies Schwester betreut die Farm neben an. Sie bietet für Besucher einen Croft Trail an. Eine kurze Wanderung führt durch die Farm, vorbei an all den traditionellen shetländischen Farmtieren. Wir sollen die beiden doch mal besuchen. Lilies Schwager Tommy ist Bootsbauer, aber er fertigt mit großer Begeisterung Geigen! Gerade war der Besuch geplant, da piepste mein Handy. Das kleine Telefon könnte fast Arbeitslosenhilfe beantragen. Es kann sowieso nur telefonieren und sms-en und selbst das macht es kaum. Jetzt hatten wir eine Nachricht von Jonathan. Wenn wir die Bressay Fähre um 10:00 Uhr nehmen würden, könnten wir nach Noss mit fahren! Es war nach 12:00 Uhr. Warum braucht eine sms nur so lange? Ich rief ihn an und er meinte, er fahre später nach Yell, um am folgenden Tag eine Gruppe Forscher nach Unst zu bringen. Gerne können wir mitfahren. Wir müßten nur dafür sorgen, dass uns in Yell auch wieder jemand abholt.
Wir warfen den Farmplan über den Haufen und machten uns auf nach Lerwick.
[yellow_box]von Esra,
Bootsfahrten sind ja bekanntlich ziemlich lustig, so lernt man es jedenfalls in jedem Liederbuch. Nun, dem kann ich mich nur anschließen, auch wenn ich noch hinzufügen muss, dass die Bootsfahrt umso lustiger wird, je kleiner das schwimmende Fortbewegungsmittel ist; denn im Gegensatz zu einem Ozeanriesen, der sich mit unbeirrbarer, gleichgültiger Gewalt durch die wogenden Wellen schiebt und im Inneren eine Welt für sich ist, so erlebt man auf einem relativ kleinen Schiffchen doch alles viel direkter: Den kalten Wind, die hohen Wellen, die Küste, an der man sich entlang navigieren muss, die Vielzahl an Meerestieren, die sich um einen herum tummeln… man sitzt mittendrin im Geschehen!
Genauso war es auch auf unserer Tour auf Jonathan Wills‘ 12m langem Ozean-Ross „Dunter III“, dessen Generalüberholung und Zuwasserlassung wir letztens beobachten durften.
Jonathan musste es nach der gerade überstanden Überholung natürlich erst einmal wieder auf Probefahrt nehmen, um sicherzustellen, dass auch alles so läuft wie zuvor. Und da bot es sich für uns natürlich an, mitzufahren. Auch mit von der Partie waren zwei französische Sprachstudenten, die eine Studienreise an den nördlichsten Zipfel von Schottland geführt hat. Wir freuten uns zu hören, dass die beiden aus Brest stammten, lieben wir doch die Bretagne sehr.
Wir sprangen im Lerwicker Hafen schnell an Deck und begaben uns in die Kabine, die zwar nicht besonders geräumig, aber gemütlich und angenehm chaotisch war. Es lag Kartenmaterial verstreut auf den Ablagen herum unter Ferngläsern, leeren Kaffeetassen, Funkgeräten und allerlei anderem Kram, den man auf so einem Boot anzutreffen erwartet.
Die Route führte uns von Lerwick bis nach Yell, einer der größeren Inseln von Shetland, recht weit im Norden gelegen. So bekamen wir einen beträchtlichen Anteil von der Ostküste der Shetlandinseln zu sehen, da wir fast die Hälfte davon abfuhren.
Insgesamt dauerte die Fahrt vier Stunden, von denen ich einen Großteil damit verbrachte, Jonathan mit Fragen zu löchern und auf diese Weise sehr viel zu lernen…
Während wir uns an der Küste entlang durch die gichtigen Gewässer pflügten, unzählige Wellenberge erklommen und daraufhin in die nachfolgenden Wellentäler stürzten, erklärte er mir alles Wissenswerte über die Gewässer, Küstenabschnitte, Tiere und Schiffsinstrumente um uns herum.
Eines der am intensivsten besprochenen Themen waren die unzähligen Lachsfarmen, die die Shetländischen Gewässer verschandeln und dort eine nach dem anderen aufsprießen wie giftige Schimmelpilze in einem feuchten, dunklen Keller. Das Problem mit den Lachsfarmen ist, so erklärte er mir, zum größten Teil die dreiste, sogar penetrante Respektlosigkeit, die deren Betreiber im Umgang mit der Natur an den Tag legen.
„In den Augen der Lachsfarmer ist die Umwelt nur etwas, was den Menschen zum Ausbeuten vor die Füße geworfen wurde… sie nehmen an, dass ihnen alles erlaubt ist! Weil die Robben gelegentlich ein wenig Vandalismus an den Fischfarmen betreiben, wird einfach auf sie geschossen. Eine großkalibrige Waffe ist nämlich billiger als Robbenschutznetze!“
Das sei auch der Grund, warum die gesamten Robbenpopulationen in bestimmten Regionen extrem dezimiert und menschenscheu seien. Immer, wenn eine Fischfarm im Blickfeld auftauchte, sagte Jonathan, „Hier brauchen wir gar nicht nach den Robben Ausschau zu halten. Sobald sie Wind von Menschen bekommen, sind sie weg.“
Etwas gegen die Robbenjagd unternehmen könne man nicht, weil die Regierung das Abschießen erlaubt, sofern ein „legitimer Grund“ vorliegt. Und das „Beschützen einer Fischfarm vor Schädlingen“ ist leider als legitimer Grund angesehen.
Und da das Abschießen mit legitimem Grund auch in keinster Weise reguliert oder kontrolliert wird, hat keiner einen blassen Schimmer davon, wie viele Tiere eigentlich überhaupt jedes Jahr getötet werden. Die Robben sind sozusagen Freiwild… Wenige Tage zuvor hatte uns Jan davon bereits erzählt und just an diesem Tag hatten wir sogar eine erschossene Jungrobbe am Strand gefunden!
Doch wir unterhielten uns natürlich nicht nur über die Robben. Als wir beispielsweise die Ölpipelines überfuhren, lernte ich von unserem Kapitän sogleich etwas darüber:
Wie man auf Shetland ja schnell mitbekommt, ist das massive Fundament der dortigen Industrie das Erdöl im Atlantik. Die positiven finanziellen Auswirkungen dieser sehr lukrativen Geldquellen sieht man der gesamten Inselgruppe an: Alles wirkt viel neuer und gepflegter als beispielsweise auf der Isle of Lewis, Die Straßen sind besser, die öffentlich Einrichtungen, die Häuser generell. Von der Ölindustrie an sich sieht man eigentlich nicht allzu viel; bis auf das Sullom Voe Terminal stehen auf dem Festland nicht viele Bauwerke, das Öl kommt natürlich von den Bohrinseln.
Irgendwann deutete Jonathan dann auf eines der vielen kleine Geräte und Computer, welches die Struktur des Meeresbodens unter uns aufzeichnete: „Siehst du diesen kleinen Hubbel dort? Das ist die Pipeline“
Die Pipelines werden mithilfe von speziellen Schiffen verlegt, und zwar nicht einfach auf dem Meeresgrund. Man bekommt es mittlerweile sogar schon hin, sie mithilfe von Pflügen zu vergraben, um sie vor Schaden zu schützen. Die Rohre hätten fast einen Meter Durchmesser und hätten bis dato schon über eine Milliarde Tonnen Öl befördert (das muss man sich mal vorstellen!) …und das alles unter einem unscheinbaren kleinen Unterwasserhügel.
Als ich mich nach der Unfall-Anfälligkeit der Pipelines erkundete, meinte Jonathan, dass man sich in der Hinsicht keine Sorgen mehr machen müsse. Nach der Ölkatastrophe von 1993 seinen die Regulierungen und Kontrollen so streng geworden, dass nicht einmal mehr der kleinste Tropfen austreten würde. (Nicht wie beispielsweise im Golf von Mexiko, wo lasche Regulierungen und fehlende Kontrollen eine gigantische Katastrophe herbeigeführt haben)
Doch ich bekam nicht nur „Theorie-Unterricht“ von Jonathan; eine Lektion im Boot-steuern bekam ich auch, und zwar Praxis.
Es dauerte eine Minute oder zwei bis ich das Gefühl für das Boot hatte und wusste, wie es auf die Drehung des Lenkrades reagiert, dann ging es aber überraschend komplikationslos weiter. Er sagte mir, wo ich entlang fahren sollte, woran ich mich zu orientieren hatte und welchen Abstand ich zum Land halten musste, und ließ mich dann mal machen.
Ehrlich gesagt, hätte ich nicht erwartet, dass man bei einem kleinen Boot so viel lenken muss! Andauern reißen, zerren und schieben einen irgendwelche Kräfte der Natur in die eine oder andere Richtung; der Wind ist nicht der einzige Übeltäter, der einen unermüdlich vom Kurs abbringen will, die Strömungen im Wasser helfen ihm enthusiastisch mit, und die Wellen machen die Sache auch nicht gerade einfacher.
So muss man alle paar Sekunden den Kurs nachkorrigieren, immer und immer wieder, die ganze Fahrt lang; So schwer wie es sich anhört ist es allerdings nicht, denn die zahlreichen navigatorischen Instrumente machen einen die Sache um einiges leichter. Man muss halt durchgehend den Blick auf dem Kompass haben…
Jonathan ließ die beiden anderen Gäste auch ans Steuer und nutzte die Zeit, um im Bauch des kleinen Wasserfahrzeugs einen Kaffee zu kochen. Mit einem klappernden Tablett entstieg er nach kurzer Zeit wieder den dunklen Tiefen und stellte das Kaffee-Tablett auf den kleinen Tisch, den er dafür kurz zuvor von der Decke geholt hatte (in der Kabine steht eine senkrechte Stange, an welcher man die Tischplatte hoch und runter schieben kann). Trotz des wilden Seeganges gelang es ihm, den Kaffee einzuschenken, ohne auch nur einen einzigen Tropfen zu verschütten. Er machte die Tassen nur halb voll, denn auf See sorgt eine volle Tasse Kaffee schnell für ein schmutziges Chaos.
Die Kaffeepause war kaum vorbei, da verließen wir auf einmal den angenehmen Schutz der umliegenden Inseln und begaben uns in Gewässer, die ein wenig weiter reichten als bis zur nächsten rauen Felsengruppe, die aus dem Wasser ragte.
„In diese Richtung liegt Norwegen“ sagte Jonathan, deutete auf den weiten Horizont und nahm wieder das Steuer. „Und zwischen Norwegen und Shetland brauen sich schon gerne mal ein paar richtige Wellen zusammen!“
Die bekamen wir dann auch gleich zu spüren. Die „Dunter III“ musste Wellen erklimmen, die in Relation zu seiner doch recht überschaubaren Größe fast schon angst-einflößend hoch waren. Immer, wenn es dann ruckartig und scheppernd bergab ging, rief Jonathan „Festhalten!“, das Kartenmaterial rutschte oder purzelte herum, und all die Klappen, die lose die vielen Stauräume verschlossen, klapperten auf und zu. Und ich bin verwunderlicherweise nicht Seekrank geworden; im Gegenteil! Ich genoss die „Wildwasserfahrt „ geradezu! Nur Noah schaute gebannt und konzentriert in eine Richtung. Von ihm hörte man während der ganzen Fahrt nur sehr wenig! „Ja, ein wenig komisch ist es mir schon!“ meint er auf Anfrage und lehnt den Bootssteuerunterricht aus diesem Grund ab. Gabi ist breit grinsend so mit der Fotografie von Wolken und Wellen beschäftigt, dass auch sie keine Zeit für die Bootsfahrpraxis hat.
Eine Weile ging es dann auf und ab, bald kamen wir aber auch schon wieder in ruhigere Gebiete. Da wir bisher noch keine Robben zu Gesicht bekommen hatten (was wie gesagt wohl an den Lachsfarmen lag), entschied sich Jonathan, uns kurz vor dem Ziel noch einmal in eine Bucht zu fahren, wo sich die Otter und Robben gerne tummeln. Und tatsächlich, kaum trieben wir ein paar Minuten mit ausgeschaltetem Motor im glatten Wasser herum, da flüsterte Noah aufgeregt „Da! Da kämpft irgendwas.“ und zeigte auf eine Stelle im Wasser, wo es wild herging. Wir griffen zu den Ferngläsern (bzw. zu dem Teleobjektiv, in Gabis Fall) um uns die Szene besser anschauen zu können. Es war eine Otterfamilie, die stark damit beschäftigt war, ihrem Abendessen die Gedärme herauszuziehen. Noch wehrte sich das Abendessen (ein ziemlich großer Fisch) allerdings, und so wurden wir Zeugen eines erbitterten Kampfes auf Leben und Tod. Die Otter bewegten sich selbst hier mit der für Otter ganz typischen flinken Eleganz. Fast wie Schlangen sahen sie aus, wie sie um den Fisch herumwirbelten.
Für den Fisch endete der Tag nicht sehr gut; wir sahen noch, wie die Otter seine übel zugerichteten Überreste an Land zogen, dann verschwanden sie aus unseren Blickfeldern.
Leider aber ist es uns nicht gelungen, ein paar wirklich brauchbare Fotos von der Szene zu machen… die Umstände waren nicht gerade perfekt. Es war spät und relativ düster und die Otterfamilie tummelte sich in recht großer Entfernung. Die Erinnerung an das Spektakel aber wird aber für immer bleiben!
Unser Ziel lag schon in der nächsten Bucht, wo wir schon von Weitem unseren VW-Bus erkannten. Wir kletterten an Land, sahen Jonathan beim Vertäuen der „Dunter III“ zu und bedankten uns dann herzlich für den Trip. Es war ein richtiges Erlebnis gewesen!
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Übersichtsseite Shetland
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Hi Maria,
Vielen Dank!
Ja, die Bootsfahrt war super gut!
liebe Grüße
Gabi
Hi Claudia,
ja, das ist auch in anderen Ländern so mit den Robben. Und die Fischfarmen haben noch weitere Nachteile. Vor allem durch den Müll, der produziert wird und die Medikamente, die nötig sind, um den Fisch gesund zu halten.
Heike Vester, eine Freundin von uns berichtete über Chile:
http://www.deepwave-blog.de/2010/06/17/lachsfarmen-umweltskandal-chile-8822938/
In Norwegen werden aber auch Robbe geschossen! Viele der schottischen Fischfarmen sind in norwegischer Hand. Wir hörten öfters, dass es deswegen jetzt schlechter sei! Ich müßte da aber nochmal genauer recherchieren.
Ich denke, mit Leinen gefangener Fisch ist wohl am besten, obwohl die auch wieder Nachteile haben!
liebe Grüße
Gabi
Hallo Esra,
danke für diesen eindrucksvollen Bericht! Bei der Bootsfahrt wäre ich gern dabei gewesen.
LG Maria
Ich hatte im Vorfeld das auch in google+ gepostete Filmchen des Boots in den Wellen gesehen und war ganz gespannt auf den Bericht. Der war sehr anschaulich. Ich konnte mir die Fahrt richtig gut vorstellen, auch wenn ich nun gar nicht mehr sicher bin ob ich gerne mit an Bord gewesen wäre…
Ich wusste nicht, dass Lachsfarmer Robben abschießen dürfen. Jetzt bin ich nicht mehr so sicher ob es besser ist Wildlachs zu essen oder Farmlachs – zumindest werde ich dabei wohl künftig an arme abgeschossene Robben denken. Ob das nur in Schottland so ist oder auch an anderen Küsten?
Am Schluss der Fahrt durftet ihr noch Otter und Robben in ruhigen Gewässern(?) beobachten. Super, ich freue mich für euch!
Hi Ricarda,
der Pulli sah aus wie neu! Da wird drauf geachtet! Und die Wolle scheint super gut zu sein. Betty sagte auch, dass die Pullover nicht oft gewaschen werden müssen!
Die Fahrt war klasse. Esra fragte Jonathan tatsächlich ein Loch in den Bauch :-)
liebe Grüße
Gabi
PS ich habe noch ein Foto des Wellengangs dazu hochgeladen. Das kann man im Foto nicht gut transportieren!
Klasse ! Heut konnte man ja wieder richtig viel Lernen von Euch bzw. von Euren Erlebnissen und Erzählungen.
Toll auch, daß Du Esra das Boot steuern durftest. Da hätt ich vermutlich auch nicht Nein gesagt…..
Ihr scheint wieder einen fantastischen Tag gehabt zu haben !
Doch daß man einen 40 Jahre alten Pullover wieder in Form bringen kann…..glaube, ich hätts erst gar nicht versucht.
Danke wieder für einen informativen Beitrag.