Jamiesons Shetland Wolle
Wie sieht es wohl in einer Strick-Fabrik aus?
Es war einer der wenigen Tage, an denen die Sonne grauen Wolken für einen Nachmittag den Vortritt liess. Das Licht verwischte die Konturen der Landschaft, und hin und wieder bliess uns der Wind einige Schnee-Graupel um die Ohren. Kurz gesagt, im Freien herumzulaufen machte nicht unbedingt Spaß.
Wir erkundeten gerade die nördlichen Regionen des West-Mainlands, kleine Single-Track-Roads mit Sheep-Droppings und ziemlich menschenleer, als wir bei Sandness ein Schild mit der Aufschrift „Visitors Welcome“ erspähten. Dahinter standen ein paar Fabrikhallen. Per Zufall waren wir über Jamieson’s of Shetland gestolpert, der einzigen Wollmühle und -fabrik auf Shetland, die in Familienbesitz und für ihre exquisite Wollqualität weltbekannt ist.
Hätten auf dem kleinen Mitarbeiterparkplatz nicht ein paar aktuelle Automodelle zwischen Schrottlastern gestanden, man hätte sich locker 50 Jahre zurückversetzt fühlen können. Die ganze Anlage wirkte schon etwas antiquiert und aus der Zeit gefallen.
Kein Mensch war zu sehen, als wir durch eine Tür traten, die vermutlich der Haupteingang sein sollte. Nach einigem Rufen und Türklopfen tauchte eine ältere Sekretärin auf, die uns direkt in die Fabrikationsräume schickte. Der Wollshop war leider wegen den Osterferien noch geschlossen, Mitarbeiter wären nur wenige anwesend, und wir sollten einfach überall hingehen und uns alles ansehen und die Leute befragen.
Das war schon seltsam, mitten zwischen lärmenden mechanischen Monstern mit Zahnrädern, Treibriemen, stachelgespickten Walzen und rasend rotierenden Spulen herumzustreunen. Vom Sicherheitsaspekt ganz zu schweigen. Das hat so ein bißchen an Charlie Chaplins Modern Times erinnert. Und überall Wolle in all ihren Erscheinungsformen: Spulen, Spindeln, Knäuel und auch Berge von Rohwolle, die noch gesponnen werden musste.
Am Ende eines Ganges fanden wir zwei jüngere Männer mit lärmintensiven mechanischen Webstühlen beschäftigt. Sie stellten Shetland-Tweed her, im Unterschied zum Harris-Tweed waren die Webstühle elektrisch betrieben. Einer der beiden entstöpselte sich von seiner Musik und erklärte uns die Produktion. Die Webstühle wären schon weit über 40 Jahre alt und vollmechanisch. Die Steuerung der Müster erfolgte über Lochkarten und das Ganze sei wegen der Mechanik sehr reparaturfreundlich. Er konnte uns auch aktuell demonstrieren, wie ein gerissener Webfaden repariert wird, so dass im Stoff nichts davon bemerkbar ist. Auf den Lärm angesprochen, grinste er und zeigte seine In-Ear-Kopfhörer. Das wäre der effektivste Lärmschutz. Die hatten wahrscheinlich modernste Noise-Cancelling-Technologie.
Weiter hinten, in der Strickabteilung fanden wir noch ein paar modernere, momentan unbesetzte Strickmaschinen, die schon computerisiert waren und alte 3.5 Zoll Disketten zur Steuerung verwendeten. Sie wurden nötig, um den Bedarf zu decken, als zu Beginn des Ölbooms viele der Einheimischen die Strickerei für lukrativere Jobs bei den Ölfirmen aufgaben.
Wir gingen weiter auf Entdeckungstour. In einer engen, mit großen Maschinen zugestopften Halle, die eher an eine Folterkammerkulisse erinnerte, fuhr uns ein gewaltiger Schreck in die Glieder. Unter einem dieser Eisenmonster schauten zwei menschliche Beine heraus. Zum Glück fingen die gleich an, sich zu bewegen – es war nur ein Techniker, der auf einem Rollbrett liegend an der Unterseite einer Spinnmaschine Reparaturen ausführte.
Wir sahen lange Reihen von hunderten von Spulen, auf die fertig gesponnene Wolle im Affentempo aufgewickelt wurde. Und überall ein Summen, Klopfen, Sirren und Brummen. In unseren Mündern und Nasen hatten wir das Gefühl, dass sich alles langsam mit Fusseln zustopft. Dazu noch der strenge Geruch von den frischen Wollfarben und feuchter Wolle.
Wir beschlossen, genug gesehen zu haben, und suchten nach dem Ausgang aus diesem Labyrinth. Draussen angekommen atmeten wir in tiefen Zügen die frische und kalte Meeresluft ein und genossen es, dem infernalischen Lärm entronnen zu sein.
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Ist ja echt interessant! Unvorstellbar, dass man hier bei uns einfach so in eine Fabrikation herein spazieren kann…
Irgendwie habe ich den Eindruck, als nehmt ihr von dieser Reise um einiges mehr mit als auch schon….
Einfach toll was ihr alles erlebt! Denke, das ist gar nicht so einfach, alles zu verarbeiten, und da meine ich nicht nur die Fotos!
Liebe Grüsse
Sandra
Das liest sich nach einer richtig spannenden Entdeckungstour mit kleiner Schock-Einlage. Gut, dass es eueren Bericht zu den Bildern gibt. Diese wirken recht gemütlich und sehen gar nicht nach Lärm aus – mit Ausnahme der Beine unter der Maschine ;-)
… beim zweitletzten Bild musste ich an das Märchen vom süßen Brei denken…
Schöner und interessanter Bericht, ich höre den Lärm regelrecht!
LG Gabi
War ja bestimmt total interessant ! Toll, daß man Euch da einfach so rumlaufen ließ und ihr die Leute nach Lust und Laune befragen konntet.