Sommer-Radtour, Teil 4: Mit dem Rad durch die Highlands
Diesen Teil des Reiseberichtes schreibe ich von zuhause aus. Nach etwa 80 Tagen hat die Reise ein Ende – zwar habe ich es in dieser Zeit nicht ganz um die Welt geschafft, doch wenn man bedenkt, dass ich über die Hälfte der Zeit bei Freunden und netten Leuten verbrachte, dann sind 3.700km gar nicht so übel, finde ich. Jetzt wird als erstes der Reisebericht vollendet!
Raus auf Glasgow, rein in die Highlands!
Nach einer Woche in Glasgow hatte ich genug vom Stadtleben und entschied, meine Reise in Richtung Norden fortzusetzen. Der durchgehend blaue Himmel entschied mehr oder weniger zur gleichen Zeit, dass er nun lange genug blau gewesen war, und es fing an zu regnen, kaum war ich aus den bebauten Gebieten heraus. Frechheit!
Aber was will man machen. Auf einer Radtour muss man wasserfest sein. Unterstellen kann man sich nicht wenn man im Niemandsland unterwegs ist, ich wühlte also meine Regenklamotten aus meinen Taschen und stellte sie auf die Probe. Der Outdoorausrüster Vaude hatte mir ein paar Produkte zum Testen gegeben, unter anderem eine Regenjacke, eine Regenhose und meine wasserdichten Schuhe. Bisher hielt alles so dicht, dass ich abends im Zelt immer mit trockenen Klamotten mein Abendessen verzehren konnte, auch wenn es den Tag über sehr viel geregnet hatte.
Leute treffen durch Servas
Ich hatte mir vorgenommen, mal Servas auszuprobieren. Das ist eine Organisition, die im Namen der Völkerverständigung Reisende und gastfreundliche Leute zusammenbringt. Ich hatte ein älteres Paar kontaktiert, das in einem kleinen Dörfchen mitten in den Highlands wohnte. Ich fand das Haus ohne große Schwierigkeiten und wurde von Bob und Maureen empfangen, einem ehemaligen Universitätsdozenten und einer ehemaligen forensischen Psychiaterin. Bob war nebenbei als Guide in einem nahegelegenen Kriegsgefangenenlager aus dem Zweiten Weltkrieg tätig, und nach dem Abendessen gab er mir eine private Tour über das Gelände.
Im Cultybraggan Camp waren damals bis zu 4.000 Deutsche Kriegsgefangene untergebracht, und als sogenanntes „Black Camp“ wurde es vornehmlich als Lager für die besonders hartgesottenen Nazis genutzt. Unter anderem gab es einen Vorfall, wo fünf Gefangene einen Mitgefangenen ermordeten, der ihnen als Verräter der nationalsozialistischen Idee vorkam. Das Camp bestand aus etlichen Nissen Hütten, einfachen Gebilden aus Wellblech. Bob erzählte, dass man die Bauteile für eine solche Hütte auf einen Lastwagen bekäme, den man man nach dem Zusammensetzten der Teile gleich in der Hütte parken konnte. Praktisch!
Ich blieb zwei Nächte bei Bob und Maureen und zog dann durch die Highlands weiter. Der Tag an dem ich weiter fuhr war einer der besten Radfahrtage auf der bisherigen Tour. Die Straße (dort oben gibt es oft nur eine Straße, auf der findet der gesamte Verkehr statt. So viel war es aber nicht) wand sich zwischen Bergen und Tälern nach Westen, in Richtung der Isle of Skye. Teilweise fuhr ich einige Kilometer lang bergauf, doch das zahlte sich immer aus, wenn ich auf der anderen Seite wieder herunter rasen konnte.
Das Wetter war ziemlich gut und es war Wochenende, also waren viele Freizeitfahrer unterwegs. Busse und Wohnwagen rollten gemächlich durch die Landschaft, und etliche Motorräder summten wie Bienen und Wespen darum herum. An einem Aussichtspunkt bot ein stolzer Jaguar-Besitzer an ein Foto von mir zu machen, und als er fertig war röhrte und brummte es wie auf einer Rennstrecke, als ein Supersportwagen nach dem anderen auftauchte. Ein Schottischer Sportwagenclub machte gerade eine kleine Tour.
Nocheinmal Servas – Rumtuckern in einem 95 Jahre alten Wagen
Irgendwann kam ich nach Mallaig, von wo aus die Fähre zur Isle of Skye fährt. Da es allerdings schon spät war und das nächste Boot erst am folgenden Tag fahren würde, rief ich noch einen Servas-Gastgeber an. Ranald und Su wohnten in Arisaig, gerade um die Ecke, und nahmen mich gerne auf. Genau wie Bob und Maureen waren sie schon ein wenig in die Jahre gekommen, wie viele andere Servas-Gastgeber im Norden Schottlands. In kleinen Siedlungen mitten im Nirgendwo ziehen die jungen Leute eben alle weg. Macht ja auch nichts, immerhin haben ältere Leute meist die lustigsten Geschichten zu erzählen.
Ranald stellte sich als exzentrisches Unikum von einer Person heraus, genau wie seine Frau Su. Er hatte einen 95 Jahre alten Wagen in der Garage stehen, einen „Varley Woods“. Ranald erklärte mir stolz, dass es wahrscheinlich der letzte Wagen dieser Firma auf der ganzen Welt sei.
„Willst du mal darin fahren?“, fragt er mich dann. Was für eine Frage! Natürlich!
Wir zogen uns lustige Hüte über die Ohren, ich schnappte meine Kamera, und los ging’s im rollenden Museumsstück. Knatternd und etwas ruckelig rollte der Wagen aus der Garage. Eineinhalb Tonnen einfachste Technik, jedoch nicht ohne Stil. Wer Sicherheit groß schreibt, fühlt sich in so einem Fahrzeug nicht wohl – Anschnallgurte und Nackenstützen wurden erst viele Jahrzehnte nach dem Bau dieser Maschine erfunden, und Bremsen hatte sie auch nur hinten. Wenn man feste genug auf das Pedal trat, hielt der Wagen sogar nach einer Weile an…
Die Gangschaltung war nicht synchronisiert, man konnte einen bestimmten Gang also nur bei der genau richtigen Geschwindigkeit einlegen. Wenn Ranald zu schnell oder zu langsam zum Schalten fuhr, ließ ihn die Gangschaltung das mit einem lauten Knirschen wissen. Es kam aber auch nur einmal vor, da er nach vielen Monaten der Restauration erst wieder das Gefühl dafür bekommen musste.
Während der halbstündigen Tour bekam ich ein Gespür dafür, wie weit sich Fahrzeugtechnik im letzten Jahrhundert weiterentwickelt hatte. Dennoch hatte sich das Grundprinzip des Automobils kaum geändert: Ein Verbrennungsmotor unter der Haube, der Benzin in Kraft und Abgase umwandelt, vier Reifen, ein Lenkrad und drei Pedale. Wir haben vielleicht die Kurbel an der Stoßstange abgeschafft und die Autos sicherer und schneller gemacht, doch neu erfunden wurden sie nie.
Nach zwei Nächten bei Su und Ranald nahm ich die Fähre auf die Isle of Skye und fuhr dann nach Osten, an die andere Küste. Darüber schreibe ich dann im nächsten Bericht.
Hallo Esra, ja sehr interessant geschrieben und herrliche Aufnahmen.
Schön, daß du wieder heil zu hause angekommen bist.
Klasse in dem tollen Auto fahren zu dürfen….1920er Varley Woods.
lg edeltraud
Traumhafte Bilder ! Und toll, daß Du immer so nette Menschen triffst die Interessantes zu Erzählen haben !
schön geschrieben Esra. Wo steht denn dieser Leuchtturm?
Wir sind auch gerade die Strecke Fort Williams nach Mallaig gefahren – und hatten wahnsinniges Glück: Highland Games am Glenfinnan und ich lief einem National Geographic Fotografen ins Bild :-) werde bald drüber berichten….
liebe Grüße aus Schottland nach Bubenheim
Gabi & gang