Vor unserem shetländischen Meeresdomizil, dem Bressay Lighthouse, wüteten die Wellen. Eine hauchdünne Schneedecke überzog die Landschaft. Wenn ich morgens aus dem Fenster schaue, sieht es übrigens immer aus, als hätte es geschneit. Die eben erwähnten Wellen werfen Unmengen an Gischt auf alles, was im Weg steht. Die Fenster des Hauses und unseres Busses kommen als erste dran. Das gibt der Landschaft beim Blick aus dem Fesnter einen ganz besonders aquarelligen Anblick, den ich sehr mag.
Ich lief also mit der Kamera und gut eingepackt den Hügel hoch und fotografierte. Hmm, das Stativ lag dummerweise im Auto, aber Langzeitaufnahmen schienen reizvoll. Also wieder den Hügel runter, Gatte auf und Gatter zu, Stativ holen. Bei dem Wind und dem grasigen Untergrund würde ich einfach ein paar mehr Aufnahmen machen müssen, um die Chance auf scharfe Fotos zu erhöhen. Die Eissturmvögel genossen das Schweben im Wind, ich das Zuschauen. Immer wieder flogen sie durch den Felsbogen. Das machen die sicher auch nur aus Spaß und Übermut! Fand ich klasse!
Die Zeit verflog, ich auch; war durch den Wind sozusagen. Die Finger, sie froren so vor sich hin, irgendwann ignorierte ich es einfach. Nach einem sehr kurzem Aufwärmen im warmen Leuchtturmstübchen – wir sind bei unseren Ausflügen an Fährzeiten gebunden – sprangen wir ins Auto und los gings. Wir waren knapp dran.
Zu knapp, denn wir sahen die Bressay Fähre in der Ferne von dannen ziehen. Tja, Pech gehabt. Erst in 1,5 Stunden würde die nächste kommen. Ich ahnte es aber bereits: das war vorbestimmt. Die Küste vor der Insel Noss hatte mir sehr gut gefallen. „Da sehen wir jetzt bestimmt Wale oder Delfine“, meinte ich gerade, als ich an einem Trinkwasssersee eine große Fläche Eiskristalle sah. Der Wind schaukelte das Wasser des kleinen Lochs hoch, es schwappte an dieser Stelle ständig spritzend über. Es ist anscheinend auch so kalt, wie es sich anfühlt. Dort hatten sich bereits große Eisgebilde aufgetürmt. FOTOMOTIVWARNUNG an! Wir sprangen alle raus, aus dem warmen Gefährt und quatschten über die nasse Wiese, um uns das Naturkunstwerk anzusehen.
Es war schwierig diesem Fotomotiv gerecht zu werden. Die Eiskristallproduktion war noch im Gange, wild spritze uns das Wasser um die Ohren. Ich kniete mich, um näher an die eisumschlossenen Grashalme zu kommen, mein Knie wurde plötzlich eiskalt. Ja, klar, es war ja auch nass! Ich stand übrigens ganz im Wasser, auch die Füße waren klatschnass. Da hatte ich im Eifer vergessen auf meine Umgebung zu achten.
Der Wind wehte über den See, direkt auf uns zu. Brrr, die Finger! Ich konnte kaum fotografieren, so kalt war ich. Der strenge Wind schob eine Wolke weg, jetzt erstrahlten die Kristalle wie Diamanten im Sonnenschein. Plötzlich funktionierten die Finger wieder. Schönheit geht vor Schmerz!
Am Aussichtspunkt versuchte ich ein Panorama aufzunehmen, doch der böige Wind rüttelte an der Kamera und lies es nicht zu.
Die Wartezeit war schneller vorbei als erwartet. Wir erreichten schließlich die Fähre. Das Geschenk der verpassten Fahrt hatte uns erfreut :-) Glücklich grinsend saßen wir auftrauend auf dem schaukelnden Schiff.
In Lerwik kaufte ich als erstes Handschuhe! Arbeitshandschuhe aus Ziegenleder. Die sind zwar nicht optimal für die Fotografie, weil etwas zu groß; mir bleibt aber keine andere Wahl. Wir sind auf einer abgelegenden Inselgruppe und die Auswahl ist nicht gross. Das Leder der Fingerkleidung fühlt sich klasse an und an diesem Tag frieren meine Hände nicht mehr.
Wir fuhren Richtung Nordosten und erkundeten Mainland Shetland. Die Küstenlandschaft ist wunderbar, die Aussichten während der Fahrt atemberaubend. An einem felsigen Strand versuchten wir uns mit der Fotografie, es klappte nicht. Der Wind rüttelte am Stativ und Kamera, an unseren Jacken und im Gesicht. Ständige flappt mir der Kragen an die Wangen.
Es war Ebbe, die Wellen zu weit entfernt. Das war so eine ungeduldige Fotografie, die ist meist wenig ergiebig. Trotzdem sog ich diese Küstenlandschaft mit allen Sinnen in mich auf. Die Steine und Felsen waren vielfältig in Farbe und Form, das Gras leuchtete leicht grünlich in der Sonne und das Meer war tiefblau. Ich suchte nach Strandgut, fand wieder Schädel; sie wurden mir vom Wind aber aus der Tasche geweht. Einen gut erhaltenen Basstölpelschädel mit Schnabel hätte ich gern mitgenommen. Schade.
Wetterbeding verkürzten wir den Ausflug, es war einfach viel zu kalt. Beim Warten auf die Fähre lief ich in Lerwick schnell noch allein durch den alten Ortsteil und kam dabei mit einem Shetländer ins Gespräch. Wir philosophierte innerhalb der wenigen Minuten über das Glück! Er meinte, das sei genetisch veranlagt, ich war der Meinung, dass es eine Entscheidung ist, die jeder treffen kann.
In der Fähre fahren wir oft ganz vorne, schauen vom Auto aus aufs Meer. Da spielen wir meist in Gesprächen so einige Szenarien durch: was, wenn wir diese kleine Fähre nach Aberdeen entführen würden? Oder sollten wir mal „top Gear“ anscheiben und sie zum Wettrennen mit diesem wenig schnittigen Schiffen anregen?
[yellow_box]Tatsächlich gibt es eine Geschichte einer älteren Dame, über 70 war sie, die vom Süden der Insel nach Lerwick wollte. Sie mochte das Fahren über Land nicht, nahm ein Boot. Unterwegs ging der Kapitän über Bord, die Crew versuchte ihn zu retten. Jetzt waren alle Männer im Wasser, sie kamen nicht mehr ins Boot. Die Dame merkte nichts, saß unten drinnen, mit einem Liter Milch und ein paar Keksen. Acht Tage lang tieb sie im Meer, bis das kleine Boot in Norwegen ans Land spülte. Die Norweger schickten die Oma zurück nach Shetland, wo sie als Heldin herzliche empfangen wurde. Sie verlies ihr Heimatdorf nach diesem Zwischenfall nicht mehr und lebte noch gute 20 Jahre![/yellow_box]
Solche Geschichten gibt es hier einige. Mal sehen, ob ich es schaffe, das noch von unterwegs für Euch zusammenzustellen.
Von der Höhe aus sahen wir, dass ein Mann mit Fotoapparat im Garten des Leuchtturms unterwegs war. Interessant! Ein Gesprächspartner :-) Schon seit Stunden mußte ich dringend pinkeln, im Freien geht das zur Zeit nicht. Jetzt war die Neugier doch noch größer als der Druck auf meiner Blase. Ich lief hin und fragte, wo er her kam, was er mache ….. Neugierig halt, wie ich bin. Ich quatschte eine ganze Weile mit Mark, unserem Nachbarn, er wohnt oben auf dem Berg, dann aber flott aufs Klo und mit Stativ nochmal zu den Klippen raus. Mark trieb sich unten bei den Vögeln rum, ich oben bei den wilden Wellen. Wir trafen uns dann als es schon fast dunkel war, erzählten, tauschten uns fotografisch aus, ich lud ihn auf einen Tee ein. Noch immer hatte ich nasse Füße, seit vielen Stunden schon. Das große Verlangen endlich aus diesen kalten Schuhen zu kommen überkam mich. Den Rest des Abends verbrachte ich mit dem Aufwärmen meines Körpers. Ja, und natürlich dem Sichern der Bilder und dem Schreiben des Berichts. Tatsächlich bin ich abends schlags kaputt und müde, aber da ich weiss, dass nicht nur Ricarda in Norwegen morgens den frischen Bericht sucht, rappelte ich mich auf und schrieb noch bis nach 12:00 Uhr!
[yellow_box]Shetland – ein Text von Noah,
Die Shetland-Inseln sind eine zu Schottland gehörende Inselgruppe, gelegen zwischen Nordschottland und Norwegen. Die kombinierte Landmasse beträgt 1500 Quadratkilometer, welche nur mit Gras, einigen wenigen Bäumen, und Felsen bedeckt sind sind. An manchen Stellen ragen Steilklippen in Höhen von bis zu 300 Metern in die Luft. Das Klima der Inseln ist rau und feucht, oft treffen schwere Stürme auf die Küstenregion, welche die An und Abreise über eine Fährverbindung erschweren.
Bekannt ist die Inselgruppe vor allem für die bei Kindern beliebten Shetland-Ponies, und die kunstvoll gestrickten Pullover welche sich sogar international großer Popularität erfreuen. Weitere produzierte Exportgüter sind Schafe und Fische. Doch das große Geld wird durch die Gewinnung großer Mengen an Öl von der Küste Shetlands gewonnen, dank dem sich die Bewohner der Insel ausgezeichneter Lebensqualität rühmen, die Arbeitslosenrate der Bevölkerung ist die geringste in ganz Schottland. Auch hat Shetland die niedrigste Verbrechensrate ganz Großbritanniens, seine Einwohner leben durchschnittlich länger als die Bürger des Festlandes und die Bevölkerungsdichte der Insel gehört zu den geringsten im ganzen vereinigten Königreich.
Die Shetländische Kultur ist nicht wie im restlichen Schottland pictisch orientiert, also die bekannte Schottenrock und Dudelsack-Kultur, sondern stammt von den Skandinaviern ab. Als diese in der Zeit der Wikinger in Shetland einfielen, vertrieben sie einen Großteil der damaligen Bevölkerung und gestalteten die Insel fast 500 Jahre lang nach ihren eigenen Vorstellungen, bis Schottland schließlich erneut die Herrschaft an sich riss. Heute zeugen viele Gebäude, alte Werkzeuge und der sogar der shetländische Akzent von skandinavischem Einfluss. [/yellow_box]
Übersichtsseite Shetland
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