Einer der Höhepunkte dieser Reise ist ganz bestimmt Lesconil. Hier knallen bei Sturm hoch aufschäumenden Gischtwellen an die Hafenmauer. Wir können in Lesconil fantastische Wellenfotos einfangen. Es sieht zwar danach aus, als hätten wir „nur“ fünf, sechs Tage auf das Spektakel gewartet, um ehrlich zu sein, ich lauere schon seit einigen Jahren auf so eine fantastische Gelegenheit zum Wellen fotografieren.
Klar das hat auch etwas mit Glück zu tun, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, aber ohne dem Glück kräftig nachzuhelfen, sind solche Aufnahmen nur mit sehr viel Dusel machbar.
Wann lohnt es sich, wo zu sein? Wellenfotos brauchen Planung!
Gabi hat sich im Vorfeld schon intensiv mit Hilfe diverser Wetter-, Surf- und Marine-Vorhersage-Seiten im Internet schlau gemacht. Folgende Faktoren müssen zusammentreffen, um dramatische Wellenfotos zu schießen:
- Hoher Gezeitenkoeffizient
- Sturm oder wenigstens kräftiger Wind
- Gute Licht- und Wetterbedingungen
- Hohe Dünung, das ist der Schwell, das Auf und Ab der Meeresoberfläche
- Ein Ort, an dem die Wellen im richtigen Winkel auftreffen und die Chance haben, hoch aufzusteigen
Hier haben wir unser Wellenfotografie-Projekt in Lesconil chronologisch zusammengefasst:
1. Tag – Warten auf die Wellen
Wir sind gerade in Lesconil, es ist bald Neumond und der Gezeitenkoeffizient ist bei etwa 80. Also viel Ebbe und hohe Flut. Wind haben wir auch, mit sturmartigen Böen, aber wirklich viel tut sich am ersten Tag nicht. Das Wasser steht fast bis zur Kante der Kaimauer, schwappt aber nur träge hin und her.
Kräftiger Wind in Landnähe führt also nicht automatisch zu hohen Wellen. Dazu muss anscheinend ein großflächiger Sturm weit draußen auf der offenen See toben, um eine ausreichend hohe Dünung zu erzeugen.
2. Tag – Wolken und farbfroher Sonneuntergang in Lesconil
Heute ist am frühen Abend Höchstflut, die Sonne lugt kurzvor Sonnenuntergang frech unter der Wolkendecke hervor, aber die Wellen haben auch heute nicht wirklich Lust zum Gischten. Immerhin zeigen sie einige vielversprechende Ansätze. Zaghaft plätschern sie die Kaimauer hoch und leuchten im Licht der tiefstehenden Sonne auf. Beim Zurücklaufen kollidieren sie mit den neu ankommenden Wellen und erzeugen kleine Wellenspritzer und -hüpfer. Genau das wünschen wir uns, nur viel größer und gewaltiger.
Zwar ist heute noch keine große Wellenaktivität, dafür belohnt uns das Wetter mit einem wunderschönen Sonnenuntergang an dieser abwechslungsreichen Küste.
3. Tag – wechselhaftes Wetter aber keine Wellen
Wir erkunden Lesconil und fahren tagsüber nochmal rüber nach Guilvinec. Immer noch lassen die Wellen auf sich warten.
4. Tag – Wellen aber strömender Regen
Dieser Abend wäre eine gute Zeit für hohe Wellen. Wir parken mit unserem Wohnmobil im Hafen von Lesconil, aber es regnet in Strömen. Sehnsüchtig blicken wir Richtung Kaimauer auf die aufsteigenden Gischtfontänen. Aber unter diesen Umständen ist ans Fotografieren nicht zu denken. Nicht dass wir wasserscheu wären, aber das Licht viel zu schwach für vernünftige Wellenaufnahmen. Der Sturm ist zudem so stark, dass er unser Mobil heftig durchrüttelt und einen Höllenlärm verursacht. Wir verkrümeln uns mit unserem Wohnmobil und suchen uns mitten in der Nacht einen ruhigeren Stellplatz im Ort.
5. Tag – Endlich tanzende Wellen – Fotografen im Wellenrausch
Der Gezeitenkoeffizient sinkt zwar wieder, und der Zeitpunkt des Fluthochstandes ist jetzt schon zum Sonnenuntergang hin gewandert. Aber jetzt steigt die Dünung, die Amplitude des Auf und Ab des Atlantiks, kräftig an. Die soll ja hauptverantwortlich für hohen Wellengang sein. Wind und hoher Flutstand allein haben es nicht geschafft. Wir schauen nochmals im Hafen von Lesconil vorbei.
Als wir am frühen Abend eintreffen, sehen wir schon von Weitem mächtige Gischtfontänen am Hafenkai emporsteigen. Endlich Wellen, hurra!
Schnell schnappen wir unsere Kameraausrüstung, traben zum Anfang der Kaimauer und sind erst mal baff, wie hier die Post abgeht. Fette Wellen wälzen sich majestätisch langsam heran, treffen auf die Mauer und schießen mit vielfach höherer Geschwindigkeit hoch in die Luft. Die Welle rollt wieder zurück und trifft dabei auf die nächste herankommende. Bei der Kollision springt das Wasser geradezu explosionsartig aus dem Meer, fächert auf oder schäumt gewaltig. Ein absolut faszinierendes Naturschauspiel. Allmählich wechselt die Lichtqualität. Von bedecktem Himmel zum frühabendlichen Sonnenschein bis hin zur roten Sonnenuntergangsstimmung.
Volle dreieinhalb Stunden halten wir die schweren Teleobjektive im Daueranschlag, bis wir uns in der zunehmenden Dämmerung erschöpft zum Wohnmobil zurückschleppen. Rücken, Schultern, Arme und Finger schmerzen so sehr, dass wir kaum unsere Kaffeetassen festhalten und anheben können. Aber wir sind glücklich, das Wellenschauspiel live erlebt zu haben. Die Planung und die Warterei haben sich endlich ausgezahlt.
Um solche Wellenfotos aufzunehmen, muss man vor allem lange beobachten, um das Gefühl für die Bewegung und Dynamik bekommen. Sich drauf einlassen und „Eins werden mit den Wellen“ auch, wenn es sich abgefahren anhört. Wir waren an diesem Abend beide richtig im Flow. Natur-Fotografie macht glücklich
Und dann kam genau zur richtigen Zeit das Sonnenlicht durch die Wolken.
So macht Wellenfotografie Spaß – Die Belichtungsmessung ist bei diesen schnellen Lichtwechseln natürlich schwierig. Helle Wellen, dunkler Himmel. Immer aufpassen, dass nichts „ausfrisst“.
6. Tag – zweiter Wellentag, durch Kinderaugen noch schöner
Wir besuchen Annette und Andreas, die mit Kindern in ihrem Ferienhaus etwa 50 Kilometer von Lesconil entfernt Urlaub machen. Wir schwärmen ihnen von den fantastischen Wellen vor und beschließen, gegen Abend zusammen noch mal hinzufahren. Die Stunde Fahrt lohnt sich.
Heute ist die Dünung etwas schwächer, aber immer noch beeindruckend. An der Kaimauer gischtet es, die Wellen springen fröhlich kreuz und quer vor der Mauer hoch. Das Wetter ist oktobergerecht wechselhaft, windig und mit dem gelegentlichen Regenschauer. Wir werden zwar von oben angefeuchtet, aber die Kombination von Wolken, Wind und Sonne hat Potenzial.
Ein Regenbogen leuchtet über dem Meer auf, leider nicht ganz perfekt über den Wellen positioniert. Eine weitere Regenfront nähert sich, von der untergehenden Sonne in gelbes Licht getaucht. Vom Licht der Regenwolken getroffen, färbt sich das Meer auf einmal kupferrot. Ein völlig surrealer Anblick, der uns erst einmal innehalten lässt. So was glaubt einem doch kein Mensch.
Und erst der Kontrast der Farben. Die hochspritzenden Wellen leuchten weiß und grün und harmonieren so ideal mit der kupferfarbenen See.
Während Annette und Andreas mit ihrem Hund spazieren gehen, bleiben ihre beiden Mädels bei uns. Sie sind ebenfalls vollauf begeistert und zeigen auf jede Welle: „Haste die, und die, und schau mal da!“
Wieder endet der Abend mit bleischweren Armen und schmerzenden Schultern. Nichts was sich zurück im Ferienhaus bei Annette wieder mit einem guten Abendessen und einem gepflegten Glas Wein kurieren ließe.
Die beiden sind so gar so nett und laden uns zu einem Sauna Gang ein. Was für ein Luxus. Wir sind jetzt schon mehrere Wochen unterwegs und Duschen sind rar.
Fototipp: Auf außergewöhnliche Fotomotive warten!
Überlasse solche außergewöhnliche Fotomotive nicht dem Zufall. Es lohnt sich immer wieder an einen Ort zu fahren um optimale Bedingungen vorzufinden. Das Schwierige an solchen Fotos ist nicht das Fotografieren, sondern die Planung und die Ausdauer. Dranbleiben ist unser Motto. Immer neu dazu lernen. Wie leben „noch“ nicht am Meer und kennen uns nicht so gut mit Gezeiten, Dünung und Wellen aus. Aber, wir kombinieren. Immer wieder schaute ich auf den Apps für Fischer und für Surfer. Das mache ich sogar schon daheim. Dabei analysiere ich, bei welchem Wetter, vor allem bei welcher Windrichtung die Dünung hoch wird und welche Orte in der Bretagne dieser Dünung ausgestzt sind. Es kommen also sehr viele Faktoren zusammen. Ich habe extrem viel gelernt. Ich wollte unbedingt solche Wellen an einer Hafenmauer sehen und erleben und natürlich solche Fotos schießen. Deswegen blieb ich so hartnäckig dran. Gunter war zeitweise genervt, doch dieser erste richtig gigantische Wellenabend versöhnte uns wieder. Wir redeten nichts mehr sondern lachten uns beim gewaltigen Rauschen und Knallen der Wellen nur noch glücklich an.
Ergänzung im April 2023
Auch mit weniger Sturm und weniger hohen Gezeitenkoeffizienten ist es möglich, die tanzenden Wellen von Lesconil zu fotografieren. Wir sind immer wieder gerne dort.
Apropos Glück in der Fotografie: