Die lustigen und nachdenklichen Straßenschilder von Lesconil
Zuerst haben wir es bei der Fahrt durch Lesconil nicht bewusst wahrgenommen. An einem Sackgassenschild hing ein Jesus am Kreuz, das stach uns sofort ins Auge. Wahrscheinlich ein Jungenstreich. Dann das nächste. Und noch eins. Jetzt war die Aufmerksamkeit geweckt. Und tatsächlich, die meisten Verkehrsschilder in Lesconil sind mit Aufklebern modifiziert worden. (Anmerkung 2023 – die meisten der Schilder wurden in Lesconil entfernt, aber du findest ganz viel in Pont Croix, auf der Sizun-Halbinsel und bis hinunter nach Lesconil. Mehr dazu weiter unten)
Da pinkelt ein Hund an den Querbalken des ‚Durchfahrt verboten‘ Schildes, dort hat ein ‚Vorfahrt beachten‘ Schild eine Miederschnürung. Fast immer betrifft es die ‚Durchfahrt verboten‘ Schilder, von denen es in Lesconil wegen der engen Gässchen mehr als genug gibt. Uns machte die Suche nach weiteren Schildern großen Spaß. Danach sahen wir überall in der Bretagne weitere Schilder des Künstlers.
Was hat es mit dem lustigen Verkehrsschildern auf sich? Wer steckt dahinter? Ist das ein Werbegag der Gemeinde Lesconil?
Clet Abraham Verkehrsschild: Kreuzigung – das war das erste Schild, welches uns bewusst ins Auge fiel, weil das Wohnmobilverbotsschild für uns relavant ist. „Werden wir hier gekreuzigt, wenn wir das Wohnmobil hier parken?“
Clet Abrahams Aktionen gegen Verbotsschilder
Dahinter steckt der bretonische Künstler Clet Abraham. Für diesen Zweck schneidet er sich die Vorlagen in seinem Atelier in Florenz/Italien zurecht. Seit 2010 verändert er in europäischen Städten Verkehrsschilder, vorwiegend Verbotsschilder. Auch in Berlin war er schon tätig. Seiner Meinung nach gibt es viel zu viele Verbotsschilder und sowieso eine generelle Verkehrsschilderschwemme. Anstelle den Verkehrsschildbestand auszudünnen und zu modernisieren, kommen immer wieder neue Schilder dazu.
Obwohl Clet die Schilder nie unkenntlich macht oder ihre Aussage verändert, hatte er in Italien schon ein Bußgeldverfahren wegen seiner Schilderverzierungen anhängen. Und jetzt auch mehrfach in der Bretagne.
Clet Abrahams Philosophie hinter den Verkehrsschildern
Clet Abrahams Kampf gegen den überbordenden Schilderwahnsinn unserer Zeit geht weiter. Seine Philosophie der Aufmerksamkeitsweckung durch provokante und lustige Motive findet immer neue Anhänger, auch wenn es hin und wieder Rückschläge gibt.
Clet richtet keinen wirklichen Schaden an. Die Aufkleber sind rückstandslos abziehbar. Als Clet 2010 mit seiner Schilderaktion begann, hat er sich vorgenommen:
„Als ich 2010 mit der Recherche zum Thema Verkehrszeichen begann, habe ich mir mit der Absicht, keinen Schaden anzurichten, kategorisch zwei grundlegende Regeln auferlegt: 1- Verursachen Sie niemals materiellen Schaden; 2- Verhindern Sie niemals das Lesen der Originalnachricht.“
Clet sieht viele Verkehrsschilder als ein Relikt aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts an, als Geschwindigkeit noch eines der Hauptziele der Beschilderung war – die Autofahrer sollten möglichst zügig zu ihrem Ziel kommen. In der heutigen Zeit sollte mehr Wert auf gegenseitige Rücksicht gelegt werden. Außerdem stört ihn der autoritäre Charakter und ihre unnachgiebige Präsenz. Als Gegenmittel sieht er eine kräftige Prise Humor, etwas Ironie, das alles gewürzt mit Poesie. Dies soll den autofahrenden Betrachter aufmerksamer machen und zu einem gelasseneren Fahrstil führen. Immerhin geht ein Großteil der Verkehrstoten auf das Konto von überhöhter Geschwindigkeit.
Seine Aktionen sind also eine Art stiller humorvoller Protest und eine Art indirekter Unfallvermeidung.
Hier eine Auswahl der Schilder, die wir gefunden haben. Hast du auch schon welche gesehen? Wenn ja, wo?
Clet Abraham Verkehrsschild: Liberte – Nur mit diesem hier konnten wir nichts anfangen? Hast du eine Idee, was es bedeuten könnte?
Update Frühjahr 2023
Als wir in diesem Jahr Station in Lesconil machten, fiel uns sofort auf, dass die Zahl der „verbesserten“ Verkehrsschilder drastisch abgenommen hat. Ob der Zahn der Zeit die Aufkleber unbrauchbar gemacht hat, ob ein neuer Stadtrat diese Art von Hohheitssymbolverschmutzung nicht mehr geduldet hat, wir wissen es nicht. Einige Schilder mit Clet-Abraham-Motiven existieren aber noch in Lesconil.
Als wir am Kap Sizun Richtung Pointe du Van / Pointe du Raz fahren, fallen uns in den kleinen Ortschaften dieser felsigen Halbinsel neue Clet-Abraham-Motive auf den Durchfahrt-Verboten-Schildern auf.
In Pont-Croix, einem kleinen Ort am Fuße der Sizun-Halbinsel warten besondern viele Exemplare auf ihre Entdeckung. Das macht in Pont-Croix besonders viel Spaß, weil dieser Ort einen unwahrscheinlich alten malerischen Ortskern hat. Viele der alten gepflasterten Gassen sind nur zu Fuß zu erkunden. Sie sind eng und so steil, dass Treppenstufen über die ganze Breite angelegt wurden.
Auch südlich vom Cap Sizun, bis hinunter zum Phare d’Eckmühl und Richtung Loctudy (die gesamte Region westlich von Quimper), finden sich immer wieder neue überraschende Motive auf vielen Verkehrsschildern.
Den Behörden gefällt das Schilderbekleben nicht immer
Clet Abraham wurde Anfang Januar 2023 zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro und einer Entschädigung in Höhe von 4.109 Euro für die Gemeinde Douarnenez verurteilt, die ihn wegen der Beschädigung von Verkehrsschildern verklagte. Das Gericht in Quimper bestätigte das Urteil und legte nochmal über 6.000 Euro drauf. Clet reagierte mit einem Zeitungsartikel: „Wenn das Gesetz Kunst und Vandalismus verwechselt,“ und wird gegen das Urteil Berufung einlegen. Jedenfalls mache es ihm trotzdem noch mehr Spaß, seinen künstlerischen Zeichendrang auszuleben.
PS: Das ist übrigens der 900. Blogbeitrag. Eine ganze Menge, was? Bist du schon von Anfang an dabei? Im Jahr 2010 schrieben wir den ersten Blogbeitrag, davor hatten wir eine Webpage mit Live-Reiseberichten.