Auslandssemester in der Corona-Krise
Ein Semester im Ausland zu verbringen ist für sich schon eine aufregende Vorstellung, selbst ohne die Rahmenhandlung einer anhaltenden globalen Pandemie. Entsprechend unentschieden war ich auch, als ich mich vergangen September entschied, trotz europaweiter Bewegungseinschränkungen und drohender Lockdown-Maßnahmen, meinen schon lange geplanten universitären Auslandsaufenthalt in Slowenien anzutreten. Wie schlimm könnte es schon kommen? Außerdem würde ich zuhause sowieso nicht viel verpassen, womit ich mich nicht im digitalen Sommersemester in Mainz schon herumgeschlagen hätte.
Mittlerweile bin ich seit einem knappen Monat wieder zurück in Deutschland, und kann rückblickend sagen, dass die fünf Monate in der kleinen Nation zwischen Österreich, Italien und Kroatien auch trotz, oder gerade wegen der außerordentlichen Umstände ein einzigartiges Erlebnis dargestellt haben.
Semesterbeginn in Ljubljana
Das Leben in Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens, fing für mich mit positiven Aussichten an. Ich hatte mich in einer Hausgemeinschaft eingemietet, welche spezifisch an international Studierende gerichtet war. So fand ich mich, selbst wenn das anderweitige Sozialleben durch die Pandemie stark beeinträchtig war, in der Gesellschaft einer bunten Truppe Studenten und international Schaffender aus ganz Europa wieder.
Slowenien hatte die erste Welle der Pandemie durch schnelles Handeln heil überstanden, die Infektionszahlen wahren niedrig und der universitäre Unterricht war zumindest in Teilpräsens geplant. Eine willkommene Abwechslung nach dem monatelangem Onlineunterricht in Mainz.
Der Optimismus hielt sich aber nicht lange, und nach nur einer Woche regulärer Präsenz und dem besorgniserregenden Anstieg der Fallzahlen, verhängte die lokale Regierung einen zweiwöchigen harten Lockdown. Alle – bis auf die essenziellen Geschäfte – wurden geschlossen, eine nächtliche Ausgangsperre verhängt, und die Ausreise erst aus der Region, dann aus der Stadt selbst kontrolliert und eingeschränkt.
Von dort an folgte im Wochentakt entweder eine Verschärfung der Maßnahmen oder die Verlängerung des Lockdowns, welcher sich bis Anfang Februar halten sollte.
Erasmus-WG im Lockdown
Somit hat es sich dann ergeben, dass ich mich auch im Wintersemester fast vollständig digital mit der Universität auseinandersetzen würde, und all meine Seminare über Zoom stattfanden. Glücklicherweise waren meine Dozenten in Slowenien gut auf die Möglichkeit eines weiteren Lockdowns vorbereitet gewesen, und gaben jeweils ihr Bestes, um uns auch ohne direkten Kontakt ein gutes Lehrangebot zu bieten. Da ich nur zwei Kurse wählen konnte, welche sich direkt mit meinen Fachanforderungen in Deutschland deckten, hatte ich die Freiheit, weitere Seminare rein nach Interesse zu belegen. So konnte ich etwa auch einen Block über chinesische Kunst belegen, oder in Fakultäten über die heimischen Fachgebiete hinaus schnüffeln. Impulse, welche ich in Mainz bisher nicht so deutlich wahrgenommen hatte.
Authentisches Erasmus Erlebnis trotz Corona Krise
Trotz der vielen Einschränkungen bekam ich durch das WG-Leben dann auch doch noch eine Idee der authentischen Erasmus-Experience. Durch den Lockdown konnte unsere Hausgemeinschaft selten ausgehen, also saßen wir oft gemeinsam in den Küchen, versammelten uns an den Wochenenden zum kommunalen Kochen und Trinken, und frönten allgemein dem entspannten Umgang. Da wir alle aus verschiedenen Ecken Europas kamen, aber in der gleichen Situation feststeckten, war ein guter Rahmen gegeben, um tolle Menschen kennen zu lernen und Freundschaften zu knüpfen.
Es stellte sich heraus, dass ich ein Apartment mit einer weiteren Mainzerin, sowie einer Studentin aus der Slowakei teilte, und dass wir alle drei unsere Freude am Kochen hatten. Da sämtliche Bars und die meisten Geschäfte geschlossen hatten, und auch Ausflüge außerhalb der Stadt untersagt waren, investierten unsere freigewordenen Stipendiengelder freudig in gutes Essen und kulinarische Genussmittel aus dem nahegelegenen französischen Supermarkt, Asia-Läden und den Takeaways unserer Wahl. Die gastronomischen Eskapaden belohnten uns auch mit einigen der besten Erinnerungen aus dem Semester, wie etwa dem einen oder anderen entspannten Gyoza-Abend, riesigen Pizzen oder aufwendigem Brunch. So erntete unsere Wohnung schließlich auch die Bezeichnung des „Gourmet-Apartments“ von der Hausgemeinschaft.
Das „Green Captial“ Ljubljana
Auch wenn ich gerne öfter die Gelegenheit dazu gehabt hätte das weitere Land zu erkunden, war auch Ljubljana selbst ein angenehmer Ort, um dem Lockdown auszusitzen. Die Stadt bleibt mit ihren knapp 300.000 Einwohnern sehr überschaubar, und ist problemlos mit dem Fahrrad zu erschließen. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel waren im Notfall unkompliziert und günstig zu benutzen. Durch die Maßnahmen waren zwar fast alle Restaurants geschlossen, und auch zu Studienzwecken musste man dank der digitalen Lehre selten an die Fakultäten, aber trotzdem waren die alten Straßen und Parks immer wieder einen Spaziergang wert.
Ljubljana ist eine sehr grüne Stadt; kaum einen Kilometer hinter unserer Bleibe in den Suburbs etwa öffneten sich die Laufwege in einen dichten Wald aus Kiefern und Eichen. Hier konnte man fast vergessen, dass man sich nur wenige Minuten von der nächsten Hauptstraße entfernt befand. Perfekt für einen schnellen Tapetenwechsel – um den eigenen vier Wänden zu entkommen, das Unterholz zu durchforsten und die Waldluft zu genießen.
Die Innenstadt Ljubljanas
Auch die eigentliche Innenstadt Ljubljanas ist erfrischend grün und gut ausgebaut – durchzogen von Bäumen und Parks, von historischen Fassaden, zahlreichen Brücken und architektonischen Sehenswürdigkeiten. Kein Wunder also, dass die Stadt 2016 zum European Green Captial erkoren wurde. „Green“ trifft auch auf das weitere Slowenien zu, denn die Fläche des Landes ist zu gut 60 Prozent mit Wald bedeckt. Vom zentral gelegenen Tivoli-Park aus, selbst beliebter Freizeit- und Hiking-Spot für Touristen und Anwohner, öffnet sich unmittelbar ein ganzes Netzwerk an Wanderwegen in die umliegenden slowenischen Alpen, und man ist in kürzester Zeit in der Natur. So konnte mir auch die ein oder andere kurze Fahrradtour außerhalb der Stadtgrenzen schon das Gefühl vermittelt, in einer anderen, alpin-romantischen Welt gelandet zu sein – schneebedeckte Gipfel am Horizont, dichte Eichenwälder und schnuckeligen Kirchen auf Hügelspitzen soweit das Auge reicht.
Die slowenische Landschaft
Gegen Ende meiner Zeit in Slowenien wurden der Lockdown dann endlich etwas gelockert. Es war uns wieder erlaubt die Kommune zu verlassen, und wir nutzten das Auto einer Mitbewohnerin, um einige weiter entfernte Ecken des Landes zu erkunden. Während der Winter im Flachland Ljubljanas eher trist und verregnet daherkam, grüßten uns die Bergspitzen mit reichlich Schnee und phänomenalen Ausblicken. Schon auf dem Weg zu den Eventzielen konnte das Land mit pittoresken Alpenlandschaften beeindrucken, gespickt von tiefblauen Seen und weiten Weidenlandschaften. Das Wandern scheint in Slowenien allgemein ein Volkssport zu sein, also hatten wir keine Probleme damit, genügende Infrastruktur und Inspiration für Touren zu finden.
Wanderung nach Krim, Slowenien
Besonders eine Wanderung nach Krim halte ich in guter Erinnerung, einem Berg im Umfeld von Ljubljana, welcher schon von unserer Haustür aus ersichtlich war. Ich und einige Mitbewohner hatten den ganzen Winter über ein Auge auf den Gipfel geworfen, und uns über den Lockdown fest vorgenommen, ihn vor der Abfahrt mindestens einmal zu erklimmen. Nach einigen Lockerungen und der Überstandenen Prüfungsphase konnten wir die Stadt schließlich auch wieder verlassen, und begaben uns morgens in der Früh, nach kurzer Anfahrt, auf die dreistündige Wanderung zur Spitze. Der Plan war es, rechtzeitig zum Sonnenaufgang auf der Aussichtsplattformen zu stehen. Oben angekommen begrüßte uns dann das atemberaubende Nebelmeer, welches morgens die slowenischen Märsche bedeckt; ein unvergleichbares Stimmungsbild, und ein Highlight der Reise, nicht zuletzt wegen der wundervollen Menschen, die mich auf den Wanderungen begleitet haben.
Empfehlenswert – Auslandssemster in Slowenien
Letztendlich war mein Semester in Slowenien also auch trotz der strengen Maßnahmen und einem primär digitalen Semester eine unglaublich bereichernde Erfahrung, sowohl akademisch als auch in persönlicher Hinsicht, und ich bin froh, es durchgezogen zu haben. Ein Land im Urlaub zu bereisen ist eine schöne Sache, aber es ist noch einmal etwas Anderes, tatsächlich dort zu Leben und einen neuen Alltag aufzubauen; mit den Leuten, die man dabei auf ganz eigene Weise kennen lernt, und den Orten, mit denen man täglich interagiert. Ich möchte das Erlebnis auf jeden Fall nicht missen, und weiß schon jetzt, dass ich in Zukunft zurückkehren werde.