Die Reise ist zwar vorbei, der Reisebericht allerdings noch lange nicht! Nach dem letzten Artikel über die Städte der Westküste berichte ich hier über die Zeit, als meine Kommilitonin und gute Freundin Sandra und ich wir uns wieder in die Natur wagten.
Im Bundestaat Washington findet man viele temperierte Regenwälder – es ist also nicht verwunderlich, dass man dort recht oft in einen Regenschauer gerät. 4.000 mm Niederschlag fallen an den feuchtesten Orten in Washington, und als wir dort im März herumziehen, fällt gerade ungewöhnlich viel Regen für die Region. Das Sauwetter treibt uns erst in die Städte, doch als es schließlich etwas abschwächt stehen wieder Nationalparks auf dem Plan.
Der Rockport State Park ist ein winzig kleiner Park, verglichen mit den grandiosen Nationalparks in den USA. Er ist gerade einmal eine Quadratmeile groß und relativ unbekannt, aber meine Eltern hatten mir schon vor der Reise geraten, dort unbedingt vorbeizuschauen.
Wir füttern unser Navi mit den Koordinaten und fahren in prasselndem Regen zu dem Park. „Gutes Wetter“ ist hier kein blauer Himmel, sondern ein Regen, der von Zeit zu Zeit ein bisschen nachlässt. Tatsächlich haben wir dann auch gutes Wetter im Park – es nieselt nur noch, während wir zwischen den moosbehangenen Bäumen hindurch wandern. Es riecht nach nassem Waldboden, alles um uns herum ist plitschnass. Wenn wir keine roten Jacken anhätten, dann könnte man in diesem Wald beinahe vergessen, dass noch andere Farben existieren außer einem saftigen Grün.
Wir bleiben nah beisammen und halten uns strikt an den Weg, sofern er auszumachen ist. Hier möchte ich mich wirklich nicht verlaufen. Ich glaube nicht, dass man uns jemals wieder finden würde. Wir müssen uns alle paar Meter um ein Hindernis herum oder über eines drüber bewegen, denn hier scheint alle drei Tage ein morscher, toter Baum auf den Wanderweg zu fallen.
Als wir gerade unser Auto erreichen, nimmt der Regen wieder zu. Timing!
Wir bummeln die nächsten Tage noch in der Region herum und schauen im Olympic National Park vorbei. Bevor wir aber selbst Moos ansetzen, entschließen wir uns irgendwann, Washington zu verlassen und nach Oregon zu fahren. Dort ist das Wetter zwar genau so durchwachsen und nass, doch ein rollender Stein setzt bekanntlich kein Moos an. Wir halten uns an die Straßen entlang der Küste, oft ist es der Highway 101. Das Wetter gönnt uns sogar ein paar Stunden blauen Himmel am Meer. Unser nächstes großes Ziel ist nun der Crater Lake National Park in Oregon.
Kurzer Exkurs: Vor 7.700 Jahren sprengte sich der wohl höchste Berg Oregons, Mount Mazama, mit einem spektakulären Krach in die Luft. Es muss (aus weiter, weiter Ferne betrachtet!) wirklich ein Anblick für die Götter gewesen sein – mündliche Überlieferungen der Ureinwohner von einem Kampf zwischen Himmel und Unterwelt werden diesem Ereignis zugeschrieben. Der Vulkan spie so viel Lava, Gestein und Asche in die Luft, dass er schließlich in sich zusammen stürzte. Er verlor bis zu einem Kilometer an Höhe. An Stelle eines markanten Gipfels klaffte für lange Zeit nur ein hässliches, tiefes und nach Schwefel stinkendes Loch, doch im Laufe der Jahrtausende füllte sich der Krater mit Schmelzwasser. Das Kaskadengebirge, welches parallel zur Küste verläuft, lässt keine Regenwolke aus dem Westen passieren. Der Niederschlag ist also enorm. Am Crater Lake fällt an 100 Tagen im Jahr Schnee, und dessen Schmelzwasser ist die einzige Wasserzufuhr des Sees. Kein einziger Fluss fließt hier oben. Wie auch? Der See liegt dort, wo einst der Gipfel von Mount Mazama lag.
Weil der See praktisch nur von Schneeschmelzwasser gespeist wird, ist er unglaublich klar. Keine Verunreinigungen werden von Fließgewässern hier abgelagert, und der National Park Service tut sein Bestes, dass auch kein Mensch hier Verunreinigungen ablagert. Er konnte allerdings nicht verhindern, dass in den 90ern ein Helikopter in den See stürzte. Der liegt immer noch am Grund des Sees, der übrigens der tiefste in den USA ist. Der See ist mit bis zu 40 Metern Sichtweite das klarste Gewässer der Welt, und in solch klarem Wasser kann Licht viel besser gebrochen werden, so dass der See in einem intensiven Blau erstrahlt, wenn die Sonne scheint.
Als wir uns auf den Weg dort hin machen, regnet es natürlich wieder. Den gesamten Abend davor und den ganzen Morgen während der Fahrt zum Crater Lake fällt uns der Himmel auf den Kopf. Aber es geschieht ein Wunder: Wir fahren gerade die letzten Meilen, es geht schon steil bergauf und am Straßenrand liegt immer mehr Schnee – da klart der Himmel auf! Nach all diesem Regen bekommen wir endlich eine kleine Pause, und die kommt grade zum richtigen Zeitpunkt.
Oben auf über 2.000 Höhenmetern liegt noch ordentlich Schnee. Bis zu vier Meter sind hier auch Mitte März noch drin, also ist unser erster Stop das Visitor Center, wo wir uns Schneeschuhe ausleihen, denn nur so können wir wandern gehen. Unterwegs treffen wir nur vier oder fünf andere Personen. Die großen und weitgehend leeren Parkplätze lassen uns wissen, dass es hier im Sommer gerammelt voll sein muss, aber warum sich jetzt im März niemand in dieses Winterwunderland traut, bleibt uns ein Rästel.
Die Schönheit der Landschaft könnte ich jetzt natürlich ausführlich und mit vielen Adjektiven beschreiben, doch ich lasse lieber die Bilder für sich sprechen. Wir stapfen am Rand des Kraters entlang, erklimmen steile Hänge und hinterlassenn auch hier und da die ersten Spuren in unberührtem Schnee. Es gibt ja keinen erkennbaren Weg, nur die Spuren anderer, die vor uns hier waren. Nach einer Weile müssen wir umkehren, um noch rechtzeitig wieder zurück zu sein, um die Schneeschuhe abzugeben. Mehr als ein paar Stunden könnten wir auch gar nicht in den Schneeschuhen wandern, wir kommen nur langsam voran und sind schnell erschöpft.
Als wir am frühen Abend den Park wieder verlassen, zieht der Himmel wieder zu. Nach wenigen Minuten Fahrt fallen die ersten Regentropfen, und es dauert nicht lange bis die Scheibenwischer wieder wild die Wassermassen von der Frontscheibe peitschen müssen. Das Wetter will uns wissen lassen, dass die wenigen schönen Stunden am Crater Lake alles andere als selbstverständlich waren. Und so können wir trotz des nahezu unablässigen Dauerregens sagen, dass wir Glück mit dem Wetter haben (…wenn es drauf ankommt!).