Es ist immer spannend mit Leuten zu reden, die sich dazu entschieden haben, auszuwandern. Wir treffen Claudia in Les Amiets, wo wir im Mobil erstmal Kaffee trinken und reden. Dann laufen wir eine Runde durch die Blütenpracht am Strand. Weitere Fotos folgen bald. Vom Pferdestall, der bald Ferienhaus ist und vom Lastenfahrrad mit dem Claudia ihren Hund zu den Stränden fährt.
1. Dein erster Besuch in der Bretagne war ja eher ein Zufall. Erzähle mal wie es dazu kam.
Als ich 17 Jahre alt war, meinten meine Eltern, ich soll für sie, meinen Bruder und mich, das Urlaubsziel für eine Woche in den Pfingstferien aussuchen. In der Tageszeitung stieß ich auf eine Anzeige für ein schönes Ferienhaus in der Bretagne. Es gefiel mir gut, da es ein für hier typisches bretonisches Steinhaus war. Wir buchten es. Erst danach stellten wir fest, wie weit entfernt von Süddeutschland die Bretagne doch ist, eigentlich zu weit für eine Woche Urlaub. Aber nun war es schon gebucht und wir fuhren hin. Das Ferienhaus war in Kerfissien und in dieser Region bin ich dann auch hängen geblieben.
2. Was hat dir auf Anhieb in der Bretagne gefallen?
Ich war fasziniert von den verschiedenen Farbtönen des Meeres, es gab so unglaublich viele Blautöne und das ganz besondere Licht hier in der Bretagne.
Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Bretonen. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich mit meiner Familie in einem Restaurant in Plouescat war und mein Vater eine Meeresfrüchteplatte bestellt hat. Die Senior-Chefin hat wohl unsere Unwissenheit und leichte Verzweiflung bemerkt, denn sie kam zu unserem Tisch. Mit Händen und Füßen konnten mein Vater und sie sich verständigen und sie hat ihm gezeigt, wie man so einen Krebs knackt.
Die Ruhe hier, die Natur, kein Lärm, die Einsamkeit, die Gelassenheit. Das beste Beispiel dafür ist für mich die Supermarktkasse. Jeder hält erst einmal ein Schwätzchen mit der Kassiererin. Sie wartet dann geduldig, bis man die Einkäufe in die einzelnen Taschen verpackt hat, beim Kassieren erklärt sie einem noch die einzelnen Gutscheine und faltet den Kassenzettel. Und die Menschen in der Schlange dahinter stört es nicht. Es ist so toll sich darauf einzulassen. Ich liebe das.
3. Wie oft warst du in der Bretagne, bis du dich dazu entschieden hast, ein Haus zu kaufen?
Über 15 Jahre verteilt, unzählige Male. Oft mehrfach im Jahr. Selbst wenn ich z.B. in Skandinavien oder Italien im Urlaub war, hat es mich dann doch noch im selben Jahr in die Bretagne gezogen. Die Sehnsucht war immer riesig.
4. Wie kam es dann dazu, dass du ausgewandert bist?
Als ich das Ferienhaus gekauft habe, war schon klar, dass dies mal mein Rentensitz werden wird. Ich hab mich mit unserem Wohnort, den Menschen und der Region sehr verbunden gefühlt. Die Urlaube waren immer sehr intensiv und ich wollte nicht mehr weg. Auch für meinen Mann war klar, dass er hierher möchte. Die Ruhe und Weite der bretonischen Landschaft, dass viele Alltagsthemen wesentlich entspannter und friedlicher angegangen werden, das hat es ihm angetan. Wir haben dann irgendwann beschlossen, dass wir nicht bis zur Rente warten werden, vielleicht noch höchstens 10 Jahre…
Im Herbst 2021 sagte ich dann zu meinem Mann, warum noch solange warten, man weiß nie, ob man sich dann seine Träume noch erfüllen kann. Lass uns mal rechnen, planen, recherchieren…Und nach intensivem Einlesen ins französische Sozialversicherungssystem, Beratung und diversen Erkundigungen haben wir im Dezember 2021 unsere Jobs und unsere Wohnung gekündigt und sind seit 2022 nun fest hier.
5. Welcher Strand gefällt dir am besten?
Jeder Strand für sich ist schön. Es kommt ganz auf meine Tageslaune an. Habe ich Lust auf einen langen Sandstrand, eine kleine Bucht oder möchte ich interessante Felsformationen sehen? Wir haben das Glück, dass unser Haus nicht weit von verschiedenen Buchten und langen Sandstränden entfernt liegt. So dass wir jeden Tag die Wahl haben. Zudem hängt für uns hier viel von den Gezeiten ab. Oft sind Urlauber enttäuscht, weil der Eindruck entsteht, dass das Wasser immer weit weg ist. Es kommt aber darauf an, was man möchte, danach richtet sich die Wahl des Strandes. Ein Spaziergang auf dem Meeresboden, Muscheln sammeln, kleine Meerestiere beobachten, geht bei Ebbe wunderbar in den größeren Buchten, diese sind dann meist komplett leer. Baden geht wiederum an den langen Sandstränden auch bei Ebbe. Und mit dem Mond wechseln ja auch wieder die Gezeiten und dadurch die Uhrzeit von Hoch- und Niedrigwasser.
Hinzu kommt noch die Wassertemperatur. Bei steigendem Wasser ist die Temperatur niedriger als bei abfließendem Wasser. Und das Wasser in den Buchten ist meist wärmer. Außerdem sind die Buchten bei Niedrigwasser ein Paradies zum Planschen für Kinder.
Die Landschaft ändert sich bei Ebbe und Flut total, es ist spannend das zu beobachten. Es lohnt sich, wenn man sich auf die Gezeiten einlässt, man macht tolle Erfahrungen.
6. Du machst einen besonderen Wassersport, magst du da mal etwas drüber erzählen?
Gerne, ich mache Aquagym en mer, also Aquagym im Meer, und das das ganze Jahr über. Das Wasser hat im Winter ca. 10 Grad. Insgesamt sind wir mehr als 50 Frauen jeden Alters und unsere Trainerin. Es gibt immer mehrere Termine pro Woche und jeder meldet sich an wie er Lust hat. Wir haben Equipment für die Übungen, um Arme und Beine zu stärken, wie z.B. Schwimmnudeln, in Frankreich heißen die übrigens „Frites“. Das tolle ist die Gemeinschaft unter den Frauen, der Spaß den alle haben, natürlich auch der Sport, und die gemeinsame Freude am Wasser, an der Natur und unserer Region. Unsere Trainerin sucht verschiedene Standorte zwischen Guissény und Plounéour-Trez aus, je nach Uhrzeit, Gezeiten, Wind und Wellengang. Es kommt dann auch mal vor, dass die Wellen höher als vermutet sind und wir alle überspült werden. Im Winter tragen wir einen langen Neopren, Handschuhe, Schuhe und bunte Strickmützen. Man kommt ganz gut rein in den Neopren, das Ausziehen ist die größere Herausforderung, vor allem bei kühleren Außentemperaturen. Ich bewundere immer die älteren Bretonen, die man auch im Winter noch im Badeanzug schwimmen sieht.
7. Ihr baut gerade ein Ferienhaus aus. Wann wird es fertig sein und welche Pläne habt ihr noch mit dem Projekt?
Wir sind guter Dinge dieses Jahr fertig zu werden. Nein, Scherz, also ja, wir werden ab 2024 spätestens vermieten. Wer schon für nächstes Jahr Interesse hat, darf sich gerne melden. Für dieses Jahr können wir aber noch kein Datum nennen. Wir sind ein zwei Mann Team und es gibt bei einem alten Haus immer Unvorhergesehenes. Als wir angefangen haben standen nur die Grundmauern und das Dach, es war nur ein Erboden drin. Das Haus ist wirklich alt, das Grundgerüst stammt aus dem 15. Jhh. Es ist ein, für unsere Region typisches Steinhaus. Wir lassen viel von unserer Kreativität und Individualität fließen.
Wir würden gerne mit interessierten Urlaubern unsere Kenntnisse über die Region teilen. Wer möchte kann sich bei uns auf einen regen Austausch und Insidertipps freuen. Es gibt hier interessante Ecken zu entdecken, die man nicht im Reiseführer findet. Genauso auch die Menschen der Region, ein Einkauf beim Biobauern, beim Fischer vor Ort oder bei der Rinderfarm, bietet mehr persönlichen Kontakt und Gespräche als auf dem Markt und im Supermarkt.
8. Ihr wohnt in Guissény. Ist das eine ruhige Wohngegend mit netten Nachbarn?
Guissény ist ein kleiner Ort direkt am Meer im Nordwesten der Bretagne, im Departement Finistère. Unser Haus ist nur 1,2 km von der Bucht entfernt. Wir wohnen außerhalb vom Ort, in einer kleinen Sackgasse mit vier anderen Häusern und ansonsten nur Felder um uns herum. Es ist sehr ruhig, zum Ortskern ist es nur 1 km. Dort findet man alles was man braucht, einen kleinen Supermarkt, der 7 Tage die Woche geöffnet hat, Bäckerei, Post, Tabakladen, usw.
Wer Ruhe und Natur sucht ist hier genau richtig. Guissény hat kleine Buchten, einen langen Sandstrand und auch die Wanderwege im Hinterland sind sehr abwechslungsreich, dort kann man die Pflanzenvielfalt der Bretagne entdecken. In unserem Naturschutzgebiet gibt es einen großen See, der bei Vogelkundlern sehr beliebt ist. Die ortsansässigen Enten trifft man auch öfter auf der Landstraße. Wir haben hier tatsächlich schon einen Eisvogel gesehen.
Guissény hat diverse Vereine, die Konzerte, Begegnungsfeste und Märkte veranstalten. Die klassischen Konzerte in der Chapelle de Brendaouez, das jährliche Rockkonzert, unser berühmtes Muschelessen am Nationalfeiertag, Theateraufführungen am Meer usw., sind eine tolle Möglichkeit die hier ansässigen Menschen und Gepflogenheiten kennenzulernen. Die bretonische Gemeinde in Guissény ist sehr groß, sie organisieren z.B. das typische „Fest Noz“, ein bretonisches Fest, bei dem man die traditionellen Tänze und Musik erleben kann.
Die Menschen hier sind unglaublich offen und freundlich. Wir haben viel Kontakt zu unseren Nachbarn, die alle 70 plus sind. Sie haben uns direkt in ihre Nachbarschaft aufgenommen. Dies beinhaltet nicht nur die Menschen in unserer Straße, der Umkreis ist wesentlich größer. Der Austausch ist immer interessant und wir lernen viel von den „älteren“ Bretonen. Das Klima hier ist anders als in Deutschland, die Jahreszeiten sind wesentlich milder, was z.B. auch Einfluss auf das Anbauen von Gemüse hat, der Ablauf unterscheidet sich, zudem ist die Vielfalt immens. Das haben uns unsere Nachbarn beigebracht, wie auch, dass man die Wäsche vor 17 Uhr abhängt, da sie sonst wieder feucht wird, wie lange man bei einer Apéritif Einladung bleibt, wie lange so ein französisches Dîner doch gehen kann (und wie man die vielen Gänge schafft) und noch mehr. Als unser Nachbar, er ist Landwirt, festgestellt hat, dass es ihm, aufgrund des Alters, zuviel wird sich weiter um seine Hühner und den Gemüseanbau zu kümmern, hat er uns seine zwei Hühner vererbt, was für ein Vertrauensbeweis. Nun leben Josephine und Gertrude bei uns.
Ein Guissénien hat letztes Jahr zu mir gesagt: „Wenn ihr nach einem ganzen Winter hier, immer noch bleiben wollt, dann gehört ihr hierher.“ Und ja, wir können mit Gewissheit sagen, wir gehören hierher!
9. Wie kommt ihr beide mit der Sprache klar?
Ich konnte schon Französisch als wir hierher gezogen sind. Ich mag die Sprache, den Singsang. Ich unterhalte mich viel, bin offen, habe keine Schwierigkeiten mit Telefonaten und rede immer drauflos. Ich denke es ist wichtig keine Hemmungen zu haben. Meine Grammatik ist grauenhaft und ich möchte mehr Vokabeln lernen. Einmal in der Woche gehe ich zu einem Französischkurs für Ausländer und ich übe täglich Zuhause. Mein Mann tut sich schwerer, er hatte keine Französischkenntnisse. Und Deutsch und Englisch sind mit Französisch nicht vergleichbar. Es hilft nur lernen, umsetzen und dranbleiben.
Um hier zu leben ist die Sprache essentiell.
Spannend ist natürlich auch, dass die Bretonen eine ganz eigene Sprache haben, die nichts mit dem Französischen zu tun hat. So findet man hier alle Ortsschilder oder die Hinweisschilder für öffentliche Gebäude nicht nur auf französisch, sondern auch auf bretonisch.
Als Urlauber geht es natürlich auch ohne Sprachkenntnisse. Der Franzose freut sich aber sehr, wenn man die Grundkenntnisse wie „Bonjour“, „Au revoir“, „S’il vous plaît“ und ähnliches kann. Und es macht ja auch Freude, auf der Anfahrt in die Bretagne ein paar Wörter zu lernen.
Das Ferienhaus ist jetzt fertig und kann gemietet werden.
Claudia und Jans Facebook Seite zur Ferienwohnung
Die Webpage des Ferienhauses Kraou Bian
Bretagne Reiseberichte