Wir überarbeiten zur Zeit unsere Fotos und Berichte von früheren Reisen. Im Mai 2009 hatten wir die Insel Værøy auf den Lofoten besucht.
Eine dunkle und stürmische Fährfahrt
Schon früh am Tag beginnt es hier auf Moskenøy im Süden der Lofoten zu regnen und zu stürmen. Es schüttet so stark, dass wir im Mobil bleiben. In den kurzen Regenpausen finden wir in Å schöne Fotomotive mit dunklen, tiefhängenden Regenwolken. Å ist diesmal nicht die Ångström-Einheit aus dem Physik-Unterricht, sondern das berühmte Museumsdorf mit dem ultrakurzen Namen an der Südspitze der Lofoten. Hier endet auch die Europastraße 10. Jetzt im Frühjahr liegt ein ständiger Duft nach getrocknetem Kabeljau in der Luft.
Gegen Abend stellen wir uns im heftig strömenden Regen am Fährableger an. Und diesmal, zum ersten Mal überhaupt, müssen wir rückwärts auf die Fähre fahren. Ich sehe natürlich im strömenden Regen gar nichts in den Rückspiegeln. Die Fähre ist vollbesetzt und wir müssen die letzten Millimeter ausnutzen. Das bedeutet ohne Sicht exakt einzuparken. Und die Rampe ist noch steil dazu. Uff, das ist wirklich kein Spaß.
Die Fahrt ist auch nicht angenehm, wir schaukeln gewaltig hin und her, und uns wird es ziemlich mulmig. Hier in der Meerenge zwischen Moskenøy und Værøy werkelt der berühmt/berüchtige Moskenstraumen, der gewaltigste Malstrom der Welt. Heftigste Gezeitenströme erzeugen massive Verwirbelungen, die auch unserer dicken Fähre ziemlich zusetzen. Es ist kalt und windig, trotzdem verbringe ich die meiste Zeit fotografierend auf dem Oberdeck. Die Wolken ziehen sehr dramatisch über uns hinweg. Die Wellen klatschen und spritzen bis aufs Deck. Meine Kamera ist hinterher ziemlich klamm vom vielen Salz.
Zu Gast bei Aina und Bjoernar
Wir besuchen eine Familie mit drei Kindern, die wir vorher über das SERVAS-Netzwerk kontaktiert haben. Bei Aina und Bjoernar werden wir herzlich aufgenommen und fühlen uns sofort wohl. Aina kreiert originelle Kleidung und Accessoires, und alles, was für den Haushalt praktisch ist. Hier ist ihre Webpage: http://kaosheimen.blogspot.com/
Bei uns würden wir Ainas Kreationen als trendige Kindermode bezeichnen, die Stücke sind wirklich sehr gelungen. Allerdings entwirft Aina nicht nur Kleidung für die jüngeren unter uns, auch für Erwachsene gibt es Einiges zu entdecken. Sie hat auch ausgefallene Damenmode in ihrem Sortiment. Handschuhe, Kleider, Westen, Schals und Mützen. Mal sind sie einfarbig, mal gemustert und zumeist mit aufwändigen Verzierungen versehen, welche die eigentlich „normale“ und bequeme Kleidung noch wertiger macht. Bei Ainas Produkten steht Geld verdienen nicht an erster Stelle, auf einer solch abelegenen Insel, wie Værøy ist es sehr praktisch, derartige Gebrauchsgegenstände und Kleidung selbst herstellen zu können. Hier gibt es schließlich nicht viele Möglichkeiten, einzukaufen.
Panoramen fast wie aus dem Flugzeug
Am nächsten Morgen haben wir die Gelegenheit, mit Bjoernar den Berg hochzufahren, das ist eine fantastische Gelegenheit, denn bei diesem unbeständigen Wetter hätten wir mit unseren drei Kindern nicht ohne weiteres zu Fuß auf den Weg gemacht. Amy und Noah haben trotzdem keine Lust, mit auf den Berg zu fahren und bleiben bei Aina. Ihnen ist es draußen zu kalt und sie geniessen es, wieder einmal in einem geräumigen warmen Haus zu sein.
Oben auf dem Berg laufen wir über die grasigen Matten und haben eine herrliche Panoramasicht auf Værøy. Wir haben auch Glück mit dem Wetter und werden nur einmal kurz nass. Von hier oben können wir das schlechte Wetter schon von weitem sehen. Unsere Fotografenseele würde die Regenwolken kaum als schlecht bezeichnen, denn sie sind dramatische,sich dauernd ändernde Motive.
Hauskaninchen und die einsame Nordküste
Am nächsten Tag regnet es wieder fast ununterbrochen. Wir sind zwar ins Freie gegangen und etwas gewandert, werden aber in kurzer Zeit klatschnass. Gegen Abend lässt der Regen nach und wir fahren zur Nordküste. Dort zeigen wir Bjoernar, wie man Langzeitaufnahmen tätigt.
Die Kinder haben derweil Spaß mit den Kaninchen der Gastfamilie. Amy und Noah sind ständig draußen zum Füttern. Von einem Ausflug an die Küste, wir wollen Krebse und anderes Wassergetier suchen, kommen wir mit einem Eimer Löwenzahn zurück.
Kurz vor der Abfahrt der Fähre fahren Esra und ich mit dem Fahrrad noch eine Runde durch den Ort. Am Tag zuvor haben die Tour zu Fuß wegen des zu starken Regens abbrechen müssen. So bekomme ich nochmal einen schönen Eindruck von der Insel. Die Fähren fahren nicht täglich, da haben wir beschlossen, nach nur zwei Tagen wieder abzureisen. Ansonsten hätten wir noch einige Tage länger bleiben müssen. Ohne Campingplatz und Stromanschluss ist es uns dafür viel zu kalt. Der Mai fühlt sich hier im Norden noch an, wie Winter.
Eine schrecklich musikalische Fährfahrt
Wieder müssen wir rückwärts auf die Fähre auffahren. Wir sind beinahe die Letzten, die noch draufkommen, denn wieder ist die Fähree vollbesetzt. Auf der Rückfahrt nach Å läuft auf den Monitoren des Passagierdecks der Eurovision Song Contest, das ist fast schlimmer wie Seekrankheit. Wir lernen auf dieser Fahrt zwei Mädels aus Frankreich und der Türkei kennen. Die beiden fahren wir dann noch mitten in der Nacht nach Å zur Jugendherberge. So spät fuhr kein Bus mehr, und ein Taxi hätte für die paar Kilometer 50 Euro gekostet. In Moskenes stellen wir uns auf einen noch geschlossenen Campingplatz. Strom fürs Heizen ist aber vorhanden. Die Küche und anderen Einrichtungen sind aber abgesperrt. Wir werfen 100 NOK in den Briefkasten, in der Hoffnung, das ist so in Ordnung.
Wissenswertes über Værøy
Værøy ist eine kleine Insel in Nord-Norwegen, und hat in etwa die Form eines Tyrannosaurus rex, mit einem gebirgigen Ausläufer als Kopf. Zwischen Værøy und der südlichen Spitze der Lofoten liegt der Moskenesstraumen, einer der stärksten Gezeitenströme der Welt. Nach ihm ist der Maelstrom benannt, ein gigantischer schiffeverschlingender Strudel.
Værøy und die Inseln der Kommune Røst sind Brutgebiete vieler Seevögel, darunter auch Papageitaucher.
Nach Værøy kommt man mehrmals wöchentlich mit der Fähre von Bodo oder Moskenes.
Papageitaucher und Lundehunde
Von Værøy stammt auch der norwegische Lundehund, eine speziell für die Jagd auf Papageitaucher gezüchtete Hunderasse. Lundehunde haben ein paar anatomische Besonderheiten, die sie zur Jagd in den Bruthöhlen der Papageitaucher befähigen. So können die Lundehunde ihre Schultergelenke auskugeln und ihren Kopf komplett zurück in den Nacken legen. Weil die Bewohner von Værøy und Røst auf andere Methoden der Vogeljagd umstiegen, war kein Bedarf mehr für diese scheuen und sensiblen Jagdhunde mehr vorhanden, und fast wären sie ausgestorben. Es ist nur ein paar enthusiastischen Hundeliebhabern zu verdanken, dass es diese Rasse noch gibt.
Adlerfang per Hand, eine außergewöhnliche Methode
von Esra Merlin Reichert.
Als sich die ersten Menschen auf Værøy ansiedelten, waren Schafe eine wichtige Existenzgrundlage. Gut zu wissen ist es auch, dass ein Adler gerne mal ein saftiges Lamm verputzt. Blöd nur, dass so ein Lamm, wenn es lange genug lebt, zu einem stattlichen Schaf heranwächst. Und die sind nun mal eine wichtige Lebensgrundlage der Bauern auf Værøy. Daher war es dort viele Jahrhunderte Sitte, Adler mit hinterhältigen Fallen in großer Zahl zu fangen.
Man grub dazu ein Loch in den Steinboden, in dem ein Mensch viele Stunden mehr oder weniger bequem sitzen konnte, und deckte den Eingang mit ein oder zwei großen Steinplatten ab, damit alles wie vorher aussah. Allerdings liess man zur Seite hin ein Loch offen, so groß nur, dass der Arm eines erbarmungslosen Bauern den Adler an den Füßen packen und in das sogenannte Adlerfanghaus ziehen konnte, um ihm den Hals umzudrehen. Dummerweise können Adler bis drei zählen, weshalb man zum Bestücken der Falle mit vier Leuten den Berg hoch und mit dreien wieder runterlaufen musste, damit der Adler keinen Verdacht schöpft und den ausgelegten Köder einfach liegen lässt (die sind ja nicht blöd, die Adler). Aber wenn der Adler im Glauben ist, es seien nur drei Menschen den Berg hoch und wieder runtergelaufen, dann ist demnach auch keiner mehr oben. Das denkt der Adler. Also stürzt er sich, angelockt vom Geschrei der Krähen, auf das leckere Fleisch, welches der Adlerfänger an einer Schnur befestigt hat, die er an einem Ende festhält. Sobald der Adler die Krähen verjagt hat, beginnt er, auf das Fleisch einzuhacken. Dann zieht der Bauer das Fleisch langsam in seine Richtung. Der Adler hackt dann nur noch stärker auf das Fleisch ein, im Glauben, es sei noch am Leben. Sobald die Adlerfüße in Reichweite des Bauernarms sind, werden sie vom Letzteren gepackt und der Adler wird in das Loch gezogen, wo man ihm den Garaus macht. Das Adlermorden wurde mit der Zeit zu einem beliebten Sport für Jung und Alt, doch um 1960 wurde es dann verboten. Seitdem erholen sich die Adlerbestände wieder etwas und heute kreisen die majestätischen Vögel ungefährdet über den leckeren Lämmern.